Dienstag, 27. März 2012

160: Nichts Neues unter der Sonne

Über die letzten Monate und Jahre konnte man den Eindruck gewinnen, dass die deutsche Eisenbahnlandschaft sich derzeit in einer Art unfreiwilliger Wartephase befindet. Das einzige infrastrukturelle Großereignis der letzten fünf, sechs Jahre, die Eröffnung der 700 Millionen Euro teuren Ausbaustrecke Augsburg-München am 10. Dezember 2011, fand kaum große Presse. Die großen geplanten Bauprojekte sind samt und sonders verzögert oder stehen unter Kostenvorbehalt; das, was im Bau steht, wie etwa Stuttgart 21, der Ausbau Karlsruhe-Basel oder der Umbau von Berlin-Ostkreuz, zieht sich unabsehbar, selbst wenn die Termine eingehalten werden. Der Blick in die einschlägige Fachpresse zeigt, dass viel passiert, aber nicht unbedingt auf der Ebene dessen, was im gestanzten Jargon der üblichen Eisenbahn-Berichterstattung stets und immer wieder »Prestigeprojekt« genannt wird. (Dies übrigens auch in dem riesigen, aber textlich leider nicht besonders bemerkenswerten Special der Süddeutschen Zeitung zum Thema Eisenbahn neulich.)
Auf dem Gebiet der Fahrzeuge und Fahrpläne ein ähnliches Bild: endlose Lieferschwierigkeiten, geplatzte Ausschreibungen, technische Probleme und Zulassungsbürokratie, die vor allem der Flottenverjüngung der DB, aber auch dem Flottenaufbau anderer Betreiber heftig zusetzen - hier sind Velaro D, Talent 2 und ICx Schlagwörter. Immerhin geht, wie man dieser Tage erfahren durfte, die Kernsanierung der ICE-Flotte planmäßig voran, und auch wenn die geplante ICE-Verbindung nach London ebenso auf sich warten lässt wie die neuen Fernverkehrsangebote der DB-Konkurrenz, gibt es immerhin nun einen TGV Frankfurt-Marseille.
Politisch tut sich auch nicht viel: das Thema DB-Börsengang ist und bleibt genauso vom Tisch wie radikale ordnungspolitische Änderungen oder der große Wurf beim Lärmschutz. Dafür wurde der DB-Bahnstrom jetzt auf Betreiben der Bundesnetzagentur etwas günstiger und damit wieder ein Stückchen Diskriminierung der Wettbewerberinnen geschleift.
Spannend ist bei alledem, dass die DB ihren Gewinn enorm steigern konnte, auch und vor allem im Bereich der Infrastruktur. Die Steigerung hätte das Potenzial, den beschlossenen »Finanzierungskreislauf« für Erhaltung und Ausbau der Netze zu stärken oder ganz einfach und altmodisch für mehr eigene Investitionsmittel zu sorgen.
Das ändert aber alles nichts daran, dass die Lage derzeit eben verhältnismäßig langweilig ist. Ein Grund mehr, sich darauf zu freuen, wenn bald wieder mehr los ist. Bei den deutschen Eisenbahnen passieren aufregende Dinge eigentlich meistens genau dann, wenn niemand mehr damit gerechnet hat. Insofern bin ich gespannt auf Neuigkeiten, die den Ausbau der Main-Weser-Bahn, die nordmainische S-Bahn, die Regionaltangente West, die Ausbaustrecke Hanau-Fulda, die Umfahrung des Schwarzkopftunnels und all die anderen schönen Projekte, die in Hessen und Umgebung schon seit ca. dem letzten Jahrhundert fertig sein sollten, tun, und beäuge ansonsten jeden Tag die Fortschritte beim Umbau des Marburger Hauptbahnhofs. Das Prellblog bleibt, wenn auch gähnend, am Ball.

Bild: Les Chatfield (»Elsie Esq.«) bei Flickr (Details und Lizenz)