Donnerstag, 24. März 2011

153: Im Herzen die Power

Auch wenn mir nach wie vor nicht klar ist, inwiefern es da einen technischen Kausalzusammenhang geben soll: das japanische Reaktorunglück wirft in vielen Industriestaaten die Pläne für den weiteren Umgang mit der Kernkraft, die de facto seit ca. 1990 ohnehin eher eine Auslauftechnik ist, über den Haufen. Es könnte letztlich, so wie es im Moment aussieht, sogar den etwas ins Stocken gekommenen Ausstieg Deutschlands aus der Kernkraft wieder beschleunigen. Mich macht das nicht unglücklich, ganz im Gegenteil, und es beschert mir ein Thema für ein hochaktuelles Prellblog.
In der Presse wird nämlich seit den einschlägigen Äußerungen und Beschlussfassungen der Regierung diskutiert, welche Auswirkungen ein schnellerer Atomausstieg auf die Eisenbahn haben könnte. Auch hier werden DB und Eisenbahn wieder gleichgesetzt, aber durchaus zu Recht: Genauso wie der größte Teil des deutschen Eisenbahnnetzes ist auch das Bahnstromnetz in der Hand der DB, und die meisten Eisenbahnen fahren mit Strom von DB Energie. Es ist zwar mittlerweile juristisch besiegelt, dass auch das Bahnstromnetz ein Stromnetz ist wie alle anderen und DB Energie nötigenfalls verpflichtet ist, fremden Strom an fremde Verbraucher (also fremde Fahrzeuge) durchzuleiten, aber meines Wissens macht das außer der Güterbahn Rail4Chem bisher niemand.
Dieses Bahnstromnetz jedenfalls wird aus historischen Gründen mit einer anderen Frequenz (16,7 Hertz) betrieben als das »normale« Verbundnetz und führt außerdem keinen Drehstrom, sondern Zweiphasen-Wechselstrom. Teilweise gibt es eigene Bahnstrom-Kraftwerke beziehungsweise in manchen Kraftwerken Bahnstrom-Generatoren; ansonsten gibt es Umformer- beziehungsweise Umrichterwerke, die mit motorgetriebenen Generatoren oder mit großkalibriger Leistungselektronik aus dem handelsüblichen Drehstrom Bahnstrom herstellen. Die Stromversorgung der Eisenbahn ist also nicht ganz transparent zur allgemeinen Stromversorgung.
Dediziert für die DB produzierter Atomstrom kommt aus dem Kraftwerk Neckarwestheim, und auch auf dem allgemeinen Strommarkt kauft DB Energie jede Menge Strom aus Kernkraft ein. Daher hat sich das Unternehmen jetzt Kritik unter anderem von Greenpeace eingefangen, die eine zu hohe Bedeutung von Atomstrom im Bahnverkehr bemängeln. Man muss hierzu allerdings festhalten, dass auch vor dem Unfall in Fukushima bereits hiergegen protestiert wurde.
Die DB wiederum hält dagegen, dass der Anteil von »Ökostrom« an ihrer Stromabnahme bereits größer sei als im Bundesdurchschnitt, mit einem ambitionierten Steigerungsziel. Und in der Tat gibt es mittlerweile Lieferverträge zwischen DB Energie und Großwindparks, und ein kommendes, besonders als Regelkraftwerk für die Unregelmäßigkeiten der Windkraft ersehntes Gaskraftwerk in Bremen wird ebenfalls über ein Drittel seiner Leistung dauerhaft an die DB liefern. Die Ziele, die sich der Konzern zur Reduktion seines Kohlendioxidausstoßes gesetzt hat, sind auch ohne eine Umstrukturierung des eigenen Kraftwerksparks und des Stromeinkaufs nicht zu erreichen, und derzeit spricht nichts dagegen, anzunehmen, dass diese Strategie auch weiter umgesetzt wird.

Dass der DB derzeit ihre Nutzung von Atomkraft vorgeworfen wird, fällt meines Erachtens unter dasselbe Muster wie die Verachtung, die viele dafür empfinden, dass der Konzern Fernbusse, Straßen- und Luftfrachtverkehr betreibt, Autos vermietet sowie aufgegebenes und Haus-zu-Haus-Gepäck auf der Straße transportiert. »Eisenbahn« hat für manche den Stellenwert des »ganz Anderen« im Verkehr: Eisenbahn muss rein und unangetastet von allem sein, was ökologisch fragwürdig ist. Natürlich darf die DB und darf auch kein anderes Schienenverkehrsunternehmen aus der Pflicht entlassen werden, am ökologischen Umbau der Stromversorgung mitzuwirken. Aber ausgerechnet deswegen, weil ein Verkehrsträger ohnehin schon umweltfreundlicher und energieeffizienter ist als andere, von diesem nochmals höhere Anstrengungen zu mehr Umweltfreundlichkeit und Energieeffizienz zu verlangen als von diesen anderen, gehorcht keiner Logik.
Die Straßenbahn in Kassel fährt übrigens seit 2007 nur noch mit »Ökostrom«, da die Stadtwerke Kassel gar keinen anderen Strom mehr liefern. Dieses Modell würde ich mir langfristig auch für die DB und alle anderen elektrischen Bahnen wünschen.

Bild: Bev Sykes (»basykes«) bei Flickr (Details und Lizenz)

Dienstag, 15. März 2011

152: Vade retro

Mangels einer zündenden Idee für einen neuen Artikel ist heute wieder einmal Listentag. Diesmal gibt es zehn in Presse und Politik beliebte Phrasen zum Themenfeld Eisenbahn, die mir beim Lesen Magenschmerzen bereiten. Naturgemäß liegt das Schwergewicht auf Formulierungen, die die DB betreffen, wird diese doch häufig mit dem System Eisenbahn gleichgesetzt.

  1. »Stadt X / Region Y / ganze Regionen werden abgehängt« - damit ist typischerweise die Reduktion von Fernverkehrshalten gemeint. Die Ausdrucksweise unterstellt, dass man von einem Bahnhof aus, an dem nicht mindestens n-mal am Tag ein Fernverkehrszug der DB hält (bei vage definiertem n), ganz gleich, wie viele andere Züge dort halten, keine sinnvolle Reise beginnen könne, was meist kompletter Unsinn ist.
  2. »die DB konzentriert sich auf den lukrativen Fernverkehr / auf den Verkehr zwischen Großstädten« - der Fernverkehr der DB ist nicht sonderlich lukrativ und eine wirkliche Konzentration auf Punkt-zu-Punkt-Verbindungen ist zwar vielfach angedroht worden, wurde de facto aber nie in Angriff genommen. Im Gegenteil haben viele, auch kleinere, Städte neue einzelne Fernverkehrshalte spendiert bekommen (ich behaupte damit nicht, die Fernverkehrsstrategie der DB sei besonders großartig, aber man sollte nicht übertreiben).
  3. »Bahn / Ministerium / Bundesregierung schiebt Projekt XY aufs Abstellgleis« - kein Kommentar
  4. »Für Projekt XY wurden die Weichen gestellt« - dito
  5. »ICE-Strecke« - das ist so dämlich, dass ich nicht weiß, wo ich anfangen soll. Es gibt zwar derzeit einige wenige Eisenbahnstrecken, auf denen nur ICE verkehren, aber die allermeisten Strecken (auch und gerade die Schnellfahrstrecken) werden von verschiedenen Zuggattungen befahren. Auch neue Strecken werden nach bestimmten europäischen Zugangsparametern geplant und nicht spezifisch für »den« ICE (siehe auch den nächsten Punkt).
  6. »der ICE kann/tut/darf dieses oder jenes« - »den« ICE gibt es nicht, es handelt sich dabei um eine Zuggattungsbezeichnung und gleichzeitig einen handlichen Oberbegriff für eine große Familie mehr oder minder nah miteinander verwandter Fahrzeuge, mit denen Züge dieser Gattung gefahren werden
  7. »Privatbahn« - von der Rechtsform her sind auch die Eisenbahnen des Bundes (also DB und Verwandte) Privatunternehmen, umgekehrt sind viele »Privatbahnen« ganz oder teilweise im Besitz von Gebietskörperschaften oder ausländischen »Staatsbahnen«.
  8. »die Fahrt von X nach Y dauert heute genauso lang wie / länger als zu Zeiten der Dampflok / der Bundesbahn / vor dem Zweiten Weltkrieg« - falls die Information über die Gesamtfahrzeit tatsächlich stimmt (ist längst nicht immer der Fall), bestehen in den meisten Fällen wesentlich mehr Verbindungen pro Tag als früher, häufig werden auch mehr Halte angefahren; solche Sätze sind normalerweise höchstens halbwahr
  9. »Kleinbahn« - von ausgegliederten Regionalnetzen der DB über DB-Töchter mit merkwürdigen Namen (»DB Heidekrautbahn« etc.) und nichtbundeseigene Eisenbahngesellschaften bis hin zu Nebenstrecken ist dieses Wort schon für nahezu alles und jedes benutzt worden. Ursprünglich bedeutete es nochmal etwas ganz anderes. Man sollte es nicht mehr verwenden.
  10. »Bahn weigert sich, X zu tun« - bedeutet meistens nicht, dass die DB X völlig ausschließt, sondern nur, dass X aus Budget-, Planungs- und allgemeinen Bürokratiegründen, an denen typischerweise auch diverse Behörden beteiligt sind, nicht sofort in Angriff genommen werden kann; dies gilt insbesondere, wenn X ein Bahnhofsausbau oder die Beseitigung eines Bahnübergangs ist, was beides von der Politik mit vorangetriebene Prozesse sind, deren Vorlauf gerne Jahrzehnte dauert.
Bild: Kam Abbott (»Kam's World«) bei Flickr (Details und Lizenz)

Sonntag, 6. März 2011

151: Passt, wackelt und hat Luft

Im Prellblog 8 war vor mehr als dreieinhalb Jahren ausführlich die Rede von Eisenbahnkupplungen - den hierzulande üblichen handbedienten Schraubenkupplungen, und den hierzulande leider nicht üblichen einheitlichen automatischen Kupplungen, wie man sie aus anderen Ländern kennt. Es ist dieser Tage vielleicht sinnvoll, noch einmal auf das Thema einzugehen, denn es gibt einige kleinere Anzeichen dafür, dass die Kupplungssituation in Europa sich langfristig verbessern könnte.
Wir erinnern uns: Eine handelsübliche automatische Mittelpufferkupplung, wie sie in den USA, China, der ehemaligen Sowjetunion und auch sonst vielerorts verwendet wird, besteht aus einer schweren, robusten, asymmetrischen Stahltatze mit einer darin beweglichen, rastbaren Klaue auf einer Seite. Die Form der Tatze und die einseitige Anordnung der Klaue ermöglichen, dass zwei solche Kupplungen, wenn sie mit einem gewissen Schwung gegeneinander gefahren werden, ineinander greifen und einrasten. Zum Entkuppeln muss man die Klauen (gegebenenfalls nach Zusammenstauchen des Zuges) irgendwie lösen; amerikanische Güterwagen haben dazu einen Hebel an der Wagenecke, das Bild zu diesem Artikel zeigt eine recht rustikale Löseeinrichtung an einer Kupplung sowjetischen Typs (die krückenförmige Stange dient zum Ziehen an der Lösekette). Luftleitungen werden von Hand gekuppelt, ohne Eingriff von Rangierpersonal am Boden lassen sich daher Wagen weder kuppeln noch trennen. Der große Vorteil ist jedoch die Stabilität und die hohe Belastbarkeit der Kupplungen, die wesentlich längere und schwerere Güterzüge erlaubt.
Nun ist die maximale Länge von Zügen auf einem Eisenbahnnetz nicht nur durch die Kupplungen, sondern vor allem durch die Länge der Überholbahnhöfe, der Rangiergleise und so weiter begrenzt. Es muss daher noch andere Vorteile einer automatischen Kupplung geben, soll sich diese in Europa je etablieren. Als gegen 1970 zum ersten Mal die Ablösung der alten Schraubenkupplungen in Europa geplant wurde, war dazu denn auch eine gegenüber den »Ur-Automatikkupplungen« anspruchsvollere Form vorgesehen: Die Klauenvorrichtung war nach unten erheblich verlängert, um dort automatische Verbindungen für Druckluft und Elektrik vorzusehen. Nun konnte man Züge prinzipiell bilden und trennen, ohne dass Rangierpersonal die einzelnen Wagen abgehen musste. Durchgesetzt hat sich diese Kupplungsform jedoch trotz erheblicher Vorbereitungen nie; zu der nötigen quasi schlagartigen Umstellung riesiger Wagenflotten konnte man sich gerade in den (zumindest in westlichen Ländern) eher stilllegungsfreundlichen, die »Schrumpfbahn« beschwörenden 1970er Jahren nicht durchringen.

Seit 2002 ist nun ein neuer Kupplungstyp in Erprobung, der vielleicht das Unmögliche doch noch möglich macht. Luft- und Elektrikverbindungen sind hier von der »Klauenverlängerung« direkt in die Tatze der Kupplung selbst verlagert, so dass diese von Baugröße und -position her es erlaubt, weiterhin konventionelle Seitenpuffer und eine Anhängevorrichtung für Schraubenkupplungen beizubehalten. Gemischtes Kuppeln mit alten Wagen ist also möglich, eine »schleichende« Einführung der neuen Kupplung mithin denkbar. Vor einem Jahr sind denn auch Lokomotiven für überschwere Erzzüge der DB mit dieser neuen Kupplung ausgestattet worden, und wer weiß, vielleicht kommt hier gerade etwas in Bewegung. Man liest allerdings, dass es immer noch Kinderkrankheiten gibt, die unter anderem damit zu tun haben, dass die Luftanschlüsse dadurch realisiert sind, dass Rohransätze in kreuzweise geschlitzte Gummischeiben stoßen; schon das Vorgängermodell mit der »großen Tatze« hat wohl regelmäßig Dichtigkeitsprobleme. Etwas Sorgen macht mir persönlich, dass es derzeit nur einen Hersteller für diese Kupplung zu geben scheint (der Hersteller Faiveley nennt das Produkt »Transpact«, bei der DB hört es auf den Namen »C-AKv«); möchte man einen Standard einführen, sollte man keine Zulieferermonopole etablieren, das hat schon bei genügend anderen Systemen nicht geklappt.

Nicht verschweigen sollte man, dass die europäischen Interoperabilitätsbestimmungen für Hochgeschwindigkeitszüge eine standardisierte Form von elektropneumatischer automatischer Kupplung vorschreiben (so genannte Scharfenberg-Kupplung). Diesen Kupplungstypen findet man an fast allen Bauarten von Triebzügen im Personennah- und -fernverkehr. Leider ist das Funktionsprinzip ein ganz anderes als bei den genannten »Tatzen«-Kupplungen, und schwere, winterfeste Güterzüge lassen sich damit nicht realisieren.

Bild: Zoltán Bogaly bei Wikipedia (Details und Rechtefreigabe)