Montag, 13. September 2010

137: Der Sprachtunnel (3/3)

Was kann man nun aus all dem lernen, außer vielleicht der vagen politischen Alltagsweisheit, dass sich das Publikum den Politikbetrieb dort zögerlich und verwaltend wünschen würde, wo er gerade technokratisch durchgreift, und umgekehrt? Außer der Trivialität, dass Fundamentalopposition meistens wirkungslos bleibt, schlimmstenfalls nach hinten losgeht, indem zum Beispiel eine Ablehnung jedes »Prestigeprojekts« verhindert, auf die doch hoch diskutable Priorisierung von Streckenbauten durch die Bundespolitik einzuwirken?
Ich könnte den Anlass nutzen, um unrealistische verkehrspolitische Forderungen aufzustellen, was eine beliebte Freizeitbeschäftigung in Deutschland ist. Ich könnte mich dabei dadurch inspirieren lassen, dass ich mich derzeit auf einer autofreien Insel aufhalte. Aber ich möchte mich grundsätzlich nicht als tausendster irrelevanter Verkehrsvisionär betätigen, auch wenn meine Forderungen im Gegensatz zu den üblichen Gepflogenheiten wahrscheinlich wenig plakativ wären und keinerlei Rufe nach irgendwelchen Bau- oder Planungsstopps für bereits Beschlossenes enthalten würden. In letzter Konsequenz wären es wohl eher medien-, bildungs- und verbändepolitische Forderungen.
Aber das soll eben nicht sein. Ich möchte statt dessen einige Ratschläge für Individuen aufschreiben, die daran interessiert sind, dass sich die Qualität der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung in Eisenbahndingen hierzulande verbessert:

  • Freunde notfalls auch einmal langweilen. Ein nicht geführtes oder eingeschlafenes Gespräch über ein Eisenbahnthema ist besser als ein niveauloses oder faktenverwirrendes. Hohlphrasen zum Thema liefern Presse und Politik schon ausreichendermaßen.
  • Worthülsen identifizieren lernen und skeptischen Abstand von ihnen halten. Auf Grund der großen technischen und organisatorischen Komplexität des Themas ist wohl kein anderes so anfällig für ideologisch kodierte (»Börsengang«, »kaputtsparen«), emotional aufgeladene (»Abhängen ganzer Regionen«) oder schlicht unterinformierte (»Bundesbahn«, »ICE-Strecke«) Floskeln.
  • Sich gegen Komplexitätsreduktion stemmen. Differenzieren: zwischen DB und Eisenbahn, zwischen DB und Verkehrsministerium, zwischen Nah- und Fernverkehr, zwischen Bund und Land, zwischen Bestellern und Betreibern.
  • Der Versuchung widerstehen, Bauprojekte nach der Spektakularität der Ingenieurleistungen oder nach den Kostenschätzungen zu klassifizieren. Unser politisch-bürokratischer Apparat tut sich nicht leichter damit, billige Projekte zu bewilligen als teure, und das Verhältnis zwischen Kosten und Verkehrsnutzen ist häufig je nach Gutachter variabel, immer aber diskutabel.
  • Akteure kennen lernen. Die Beschäftigung mit der Eisenbahn ist zivilgesellschaftlich eine Nischenangelegenheit, die Übergänge zu den Milieus von Modellbahnvereinen und Dampflokfotografen sind auch bei organisierten Interessenvertretungen und Fachmedien oft fließend. Eine kurze Internetrecherche kann oft zu überraschenden Ergebnissen führen.
  • Die Eisenbahn als einzigartigen und eigenständigen Verkehrsträger mit eigenem Angebot und selbstgenerierter Nachfrage sehen statt nur als ein »Komplementärverkehrsmittel«, das ausschließlich »Entlastungsfunktionen« hat und dessen Fahrgäste und Frachtgut »normalerweise« mit Flugzeug oder Kfz unterwegs wären.

Das Prellblog wird den Stil des Eisenbahn-Geredes nicht ändern können; aber vielleicht kann es dem oder der einen oder anderen aus dem Sprachtunnel heraushelfen; wer weiß?
Juist, 24. August 2010

Bild: »Hagar66« bei Wikimedia Commons (Details und Rechtefreigabe)

1 Kommentar:

bladewing678 hat gesagt…

endlich mal jemand, der neutral den ganzen Eisenbahn-Extremisten (vor allem den gegen-alles-Menschen) mal sagt, was Sache ist

ein sehr schoener Dreiteiler, Lesen hat echt Spass gemacht