Freitag, 11. Juni 2010

129: Voices Down the Corridor

Vor einer Woche haben Europäisches Parlament und Rat sich auf einen Text für eine EU-Verordnung zur Einrichtung eines Vorrangnetzes für den transeuropäischen Güterverkehr geeinigt. Wer das überhaupt bemerkt hat, hat das wahrscheinlich deswegen getan, weil Deutsche Bahn, Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat sofort die ihrer Ansicht nach von dieser Verordnung ausgehenden Gefahren für die Fahrplangestaltung im deutschen Eisenbahn-Personenverkehr angeprangert und klargestellt haben, dass die Verordnung gegen ihren Willen zustande kommen wird.
Was steht denn nun drin und was ist so gefährlich?
Die Verordnung definiert zunächst, was ein Güterverkehrskorridor ist: Eine mindestens eine EU-Binnengrenze überschreitende Verbindung zwischen wichtigen Rangier-, Container- oder Verladebahnhöfen, eventuell neben einer Hauptlinie auch Ausweichstrecken umfassend. Für einen solchen Korridor müssen die Betreiber seiner Infrastruktur einen »One-Stop-Shop« als Anlaufstelle für Trassenbuchungen einrichten; sie müssen für das kurzfristige Einrichten von Sonderzugtrassen Kapazitäten in ihm freihalten und auch hochwertige Trassen mit Vorrang gegenüber anderen Verkehren anbieten.
Welche Korridore genau eingerichtet werden, hängt davon ab, was die Mitgliedsstaaten beantragen; es besteht eine Pflicht, je nach Transportvolumen ein bis drei Korridore pro Staat zu beantragen. Ein Jahr nach Inkrafttreten der Verordnung wird eine erste Runde von Korridoreinrichtungen festgeklopft, es können neue hinzukommen.

Natürlich freut sich die Deutsche Bahn nicht über eine Entscheidung, die ihr für einige ihrer wichtigsten Streckenzüge (voraussichtlich Duisburg-Schweizer Grenze, Aachen-Berlin-polnische Grenze, Hamburg-Innsbruck) je einen international kooperierten Verwaltungsrat vor die Nase setzen soll. Dass dieser nach dem Kompromisstext nicht auch noch, wie ursprünglich beabsichtigt, für die langfristige Ausbauplanung der Korridore verantwortlich sein soll, ist wahrscheinlich nur ein schwacher Trost. Das an die Wand gemalte Horrorszenario, nach dem massenhaft transeuropäische Güterzüge mit Vorrang gegenüber dem Personenverkehr die deutschen Taktfahrpläne kaputt machen werden und die Fahrplangestaltung ein bürokratischer Kampf von DB Netz mit drei Korridorverwaltungsräten wird, ist allerdings meines Erachtens lediglich vorgeschoben.
Es ist bekannt, dass der Ausbau der Güterverkehrskapazitäten in Deutschland schleppend und unter Schmerzen vorangeht, obwohl Überlegungen zum Güterverkehr seit mindestens vierzig Jahren die deutschen Netzplanungen entscheidend beeinflussen. Das mag auch darin begründet liegen, dass in Deutschland anders als in vielen anderen EU-Staaten der (liberalisierte) Eisenbahngüterverkehr tatsächlich eine Erfolgsgeschichte vorweisen kann und es daher schon schwierig genug ist, Kapazitäten für die eigenen Verkehrszuwächse aufzubauen; schwerer wiegt aber, dass die Deutsche Bahn gerne kapazitätsfeindlich spart und die Finanz- und Verkehrswegeplanung des Bundes es seit Jahr und Tag nicht hinbekommt, ihre Projekte kontinuierlich, berechenbar und solide finanziert zu entwickeln, sondern ständig zwischen irgendwelchen vorgezogenen »Masterplänen« und Notprogrammen auf der einen sowie Sparpaketen, Baustopps, Streichlisten und Streckungen auf der anderen Seite herumeiert.
Auch wenn die deutschen Rahmenbedingungen (Mittelgebirge, Mischbetrieb, im Vergleich mehr Netz, mehr Städte und mehr Industrie als die meisten anderen Länder) hoch schwierig sind: es sind Fehler gemacht worden und werden immer noch gemacht, und die EU-Verordnung wird, direkt oder indirekt, die DB und die deutsche Verkehrspolitik vorführen. Ob die One-Stop-Shops zu Verbesserungen führen, kann ich nicht beurteilen, aber generell ist der Einfluss der EWG/EG/EU auf den Eisenbahnverkehr in den letzten Jahrzehnten durchweg ein eher positiver gewesen und ich bin auch diesmal einigermaßen zuversichtlich.

Zum Schluss sei noch erwähnt, dass ich es für geradezu epochal halte, dass beim neuen Sparpaket der Bundesregierung ausnahmsweise nicht der Verkehrsetat herhalten soll; und dass der neueste Spiegel-Leitartikel zum Thema Hochgeschwindigkeitsverkehr in Deutschland der reine Stammtisch ist, faktischen Unsinn enthält und insgesamt die Bytes nicht wert ist, auf denen er geschrieben steht. Fast überflüssig zu sagen, dass ich auch die beliebte Meinung, es werde zuviel in »sinnlose Prestige-Projekte« investiert, nicht teile. Ich werde versuchen, mir in einer der nächsten Ausgaben zu diesem Thema mal ein paar Fälle genauer anzuschauen.

Bild: Les Sachs bei Flickr (Details und Lizenz)

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