Montag, 27. April 2009

93: Dampf machen

Der Infrastruktur-Anteil der derzeit laufenden Konjunkturprogramme in Deutschland wurde zwar meistens unter der Überschrift »Straßenbau« besprochen, und es ist ja auch in der Tat so, dass bei öffentlicher Verkehrsinfrastruktur nicht nur hierzulande reflexhaft sofort an Straßen gedacht wird und weniger an Bahnstrecken, Kanäle, Schiffshebewerke, Flughäfen, Containerterminals, Rohrleitungen und so weiter. Dennoch profitiert die Eisenbahn ebenfalls unmittelbar vom Konjunkturpaket, unter anderem, indem auch sinnreich Mittel aus nicht verkehrsspezifischen Töpfen genutzt werden: die Förderung energetischer Gebäudesanierung kann man ja auch nutzen, um ein Bahnhofsgebäude neu zu dämmen. Insgesamt steckt die Deutsche Bahn also dreihundert Millionen Euro in ihre Bahnhöfe, mit folgender Aufteilung auf die Bundesländer (leider ließen sich Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen nicht auseinanderrechnen):

  • Bayern: 39,5 Mio.
  • Nordrhein-Westfalen: 37,6 Mio.
  • Baden-Württemberg: 35 Mio.
  • Sachsen + Sachsen-Anhalt + Thüringen: 31 Mio.
  • Berlin: 34 Mio.
  • Hessen: 33,8 Mio.
  • Hamburg: 23,7 Mio.
  • Brandenburg: 17 Mio.
  • Rheinland-Pfalz: 17 Mio.
  • Niedersachsen: 15,2 Mio.
  • Schleswig-Holstein: 5,9 Mio.
  • Mecklenburg-Vorpommern: 5 Mio.
  • Saarland: 3 Mio.
  • Bremen: 0,7 Mio.
Zu diesen Zahlen bieten sich einige Anmerkungen an. Der unverhältnismäßig niedrige Wert für Bremen hat wohl damit zu tun, dass der dortige Hauptbahnhof vor einigen Jahren komplett durchsaniert worden ist. Die Summen korrelieren ansonsten halbwegs mit den Landesbevölkerungen, was auch damit zu tun hat, dass das Geld einigermaßen mit der Gießkanne verteilt wird, mit der Ausnahme von Hessen, wo eine Tranche von 15 Millionen zur Anschubfinanzierung der Hallendachsanierung im Wiesbadener Hauptbahnhof gebraucht wird. (Die kulturelle Bedeutung, technische Komplexität und nicht zuletzt die Kosten der Herrichtung denkmalträchtiger Bahnhofshallen hat irgendwann einen eigenen Artikel verdient, wenn nicht mehrere.) Große Teile gehen in die Verbesserung von Sicherheit und Information, was auf deutsch heißt: neue Leuchten, neue Lautsprecher, und neue von den blauweißen TFT-Zuglaufanzeigen, die sukzessive im ganzen DB-Netz aufgehängt werden. Die DB ist auf diese Anzeigen unter anderem deswegen so stolz, weil sie aus genormten Komponente bestehen, von ungefähr fünf verschiedenen Anbietern im Wettbewerb geliefert werden können und daher äußerst billig sind - in NRW werden für die »Verbesserung der Informationsqualität« in 297 Bahnhöfen im Schnitt knapp 12 800 Euro ausgegeben.
Ansonsten geht Geld in das übliche - neue Wartehäuschen, Treppen, Aufzüge, Bahnsteige und so weiter. Besonders aufregend ist es nun einmal nicht, wenn in der Fläche in Bahnhöfe investiert wird. Die Gelder fließen dabei teilweise sogar in bereits begonnene und mutmaßlich natürlich auch finanzierte Maßnahmen (wie hier um die Ecke in Stadtallendorf, wo der Bahnhof nächstes Jahr zum Hessentag fertig sein soll). Wahrscheinlich werden dazu dann andere Fördergelder umgeschichtet oder es werden Bauabschnitte vorgezogen, wer weiß.

In der Marburger Umgebung gibt es damit laufende oder geplante Bahnhofsumbauten in der Stadt selber, dazu in Cölbe, Stadtallendorf, Gießen und Bad Nauheim. Da man nicht zu viele Sperrungen einplanen will, hat sich dadurch der Baubeginn für den eigentlichen Bahnsteigteil (auf Planerisch: die Verkehrsstation) ins nächste Jahr verschoben. Dabei wird in Marburg so oder so schon seit etwa zehn Jahren im Bahnhof nicht mehr viel erneuert, weil man auf die Generalsanierung wartet; die Gepäckbänder sind seit zirka 2002 »wegen Vandalismus« außer Betrieb, weil man nichts mehr reparieren will, was ohnehin bald verschrottet wird. 
Dies ist eines der bisher kaum gelösten Attraktivitätsprobleme im deutschen Eisenbahnwesen: dass laufend irgend etwas in dem Zustand »kommt eh bald weg, also wird nix mehr dran gemacht« liegen bleibt, und das auf Grund oft extrem langfristiger Bauplanungen manchmal für Jahrzehnte. In Frankfurter Osten beispielsweise vergammeln die Bahnhöfe seit einem Vierteljahrhundert, weil mit der nordmainischen S-Bahn ein Rundumschlag geplant ist. Ich frage mich, ob es nicht doch manchmal auch sinnvoll wäre, Bahnhöfe, deren ungefähres Verfallsdatum man kennt, trotzdem noch ein wenig auf Vordermann zu bringen - attraktiver öffentlicher Verkehr ist schließlich zu einem großen Teil Psychologie, und das Geld muss ja nicht unbedingt aus einem Konjunkturprogramm kommen.

Bild: Rolf Schlagenhaft bei Wikimedia Commons (vollständiges Bild, Detail und Lizenz)

Montag, 20. April 2009

92: Working on the Railroad

In San Francisco wird in den nächsten Jahren ein riesiges postmodernes mehrstöckiges Gebäude mit einem öffentlichen Park auf dem Dach entstehen, das in sich einen Bahnhof und mehrere Busbahnhöfe vereinigt, die Vorortzüge des Caltrain-Systems näher an die Innenstadt bringt und laut Projektplanung acht verschiedene Nahverkehrssysteme unter einem Dach verbinden soll. Was dieses neue Transbay Transit Center aber besonders bemerkenswert macht, ist die Bauvorleistung für einen künftigen Halt für Hochgeschwindigkeitszüge.

So etwas gibt es bisher in Nordamerika noch nicht wirklich. Der auf dem Nordostkorridor Boston-Washington verkehrende Acela Express erreicht in einigen kurzem Ausbauabschnitten zwar 240 km/h, seine Gesamtreisegeschwindigkeit bleibt jedoch eher bescheiden. Im restlichen Land fährt Amtrak Züge, bei denen mehrstündige Verspätungen an der Tagesordnung sind und die zu den im Vergleich zum allgemeinen Mobilitätsgrad der Bevölkerung am wenigsten nachgefragten Fernzügen der Welt gehören. Das ist durchaus auch nach amerikanischer Ansicht eine Schande in einem Land, das den Großraumwagen und den Pullman-Schlafwagendienst erfunden hat und lange Zeit die schnellsten und besten Reisezüge der Welt betrieb. Pläne, den Personenverkehr drastisch zu verbessern, gibt es daher seit Jahrzehnten.
Für die erwähnte und 2008 endgültig beschlossene kalifornische Hochgeschwindigkeitsstrecke, die in der ersten Ausbaustufe San Francisco, Los Angeles und Anaheim verbinden soll (im Endausbau kommen noch Äste nach Sacramento und San Diego dazu) wurden bereits 1982 erste Gelder freigegeben. Die Finanzierung hängt aber weiterhin völlig im Unklaren, nicht nur, weil Kalifornien derzeit quasi bankrott ist, sondern weil die benötigten Summen ohnehin im mittleren oder eher höheren zweistelligen Milliardenbereich liegen, was ohne Bundesgelder kaum lockerzumachen ist.

Diese Bundesgelder sind nun schlagartig in greifbare Nähe gerückt. Präsident Obama hat in einer Regierungserklärung die Vision funktionierender Hochgeschwindigkeitsnetze in den USA beschworen und gleichzeitig angekündigt, acht Milliarden Dollar sofort aus dem Konjunkturprogramm der Bundesregierung zu bewilligen und für die nächsten Jahre weitere fünf Milliarden zu budgetieren. Damit könnte man ja schon etwas machen. Der Pferdefuß ist nun, dass diese dreizehn Milliarden nicht einfach nach Kalifornien geschoben werden, sondern dass punktuelle und korridorförmige Hochgeschwindigkeitsprojekte im ganzen Land sich darum bewerben können. Allein zehn Korridore sind dabei im Rennen; diese wurden bereits vor langer Zeit in verschiedenen Studien ausgewählt.
Sicher ist nur eins: Mit dreizehn Milliarden Dollar kann man wahrscheinlich, vor allem in einem Land, in dem die vorsintflutlichen Betriebsvorschriften, das klagefreudige Rechtsklima, die Enteignungsregeln und die Struktur der Bauindustrie die Kosten allesamt in die Höhe treiben, noch nicht einmal das kleinste und kürzeste Korridorprojekt bewältigen. Um wirklich landesweit größere Fortschritte zu machen, wäre nach meiner Daumenpeilung etwas das Zehnfache ein guter Anfang.

Christopher Beam hat bei Slate.com bereits düstere Bilder an die Wand gemalt: Nach seiner Vorstellung werden die dreizehn Milliarden nur zum moderaten Ausbau bestehender Strecken für Geschwindigkeiten im Bereich von 150 bis 200 km/h genutzt werden, wenn überhaupt; falls tatsächlich »richtige« Hochgeschwindigkeitssysteme eingerichtet werden, ist damit zu rechnen, dass diese sich über sehr hohe Fahrpreise refinanzieren müssen und daher kaum Nutzen für die breite Bevölkerung entfalten; außerdem fließen faktisch große Teile der Gelder direkt oder indirekt an die privaten Eisenbahngesellschaften, denen die Gleise gehören (Amtrak ist eine der ganz wenigen Staatseisenbahnen der Welt, die kaum eigenes Netz besitzt und in erster Linie auf fremden Privatgleisen fährt).
Schlimmstenfalls verhindern, so befürchtet Beam, die dreizehn Milliarden, mit denen die Fahrzeiten konventioneller Amtrak-Züge, die langsamer vorankommen als Fernbusse, um ein paar Minuten verkürzt werden, für weitere Jahrzehnte, dass richtig Geld für den hochschnellen Fernverkehr in die Hand genommen wird.

Es ist hier also wieder einmal die Frage, ob es lieber der Spatz in der Hand oder die Taube auf dem Dach sein soll. Japan, Europa und zuletzt China zeigen, dass die Taube zu haben ist. Auch und gerade für ein Land mit kontinentaler Ausdehnung. In China kommen Hochgeschwindigkeits-Schlaftriebzüge in den Einsatz, die 250 km/h erreichen und auf 1200 bis 1300 Kilometer langen Strecken eingesetzt werden. Auch in Europa sind Strecken vergleichbarer Länge mit einmaligem Umsteigen zu fahren; London-Marseille über Paris dauert etwa sieben Stunden. Mit genügend Geld wäre zumindest östlich des Mississippi und entlang der Westküste ein Hochgeschwindigkeitsnetz zu machen. Aber das würde wohl wirklich die fünfhundert Milliarden kosten, die Beam dafür veranschlagt.

Bild: Robert Couse-Baker bei Flickr (Details und Lizenz)

Freitag, 17. April 2009

Fahrplanänderung

Da ich nunmehr meinen Lebensunterhalt durch unselbstständige Erwerbstätigkeit verdiene, habe ich den Erscheinenstag für das Prellblog bis auf weiteres auf den Montag verlegt, weil das ein arbeitsfreier Tag ist. Es geht also am 20. April weiter mit einem Artikel über neue Entwicklungen im amerikanischen Personenverkehr (Dank für den Hinweis geht an Henning Schmidt).

Freitag, 10. April 2009

91: Un cinquante, s'il vous plaît

In dem Lande, in dem man selbst als Eisenbahnliebhaber allein deswegen gerne mit italienischen Autos handeln würde, um die Firma dann »FIAT LUX« nennen zu dürfen, ist Eisenbahn eine wesentlich familiärere Sache als in Deutschland. Das in zirka anderthalb Stunden der Länge nach durchquerbare Netz der Staatseisenbahn CFL umfasst 65 Zugangsstellen auf weniger als dreihundert Kilometern Strecke, alle Fahrkarten sind Netzkarten und es gibt nur zwei Tarifstufen - 1,50 Euro für eine zwei Stunden gültige, 4 Euro für eine ganztägig gültige Fahrkarte (in der ersten Klasse 2,30 Euro beziehungsweise 6 Euro). Für die Tageskarte fällt gegebenenfalls ein Bordzuschlag von 1,50 Euro an. Alle Züge beginnen oder enden am wunderschönen Bahnhof der Hauptstadt, der nicht nur noch ein richtiges Bahnhofsrestaurant und ein hübsch ausgemaltes Tonnengewölbe in der Halle hat, sondern außerdem gerade auf allerhöchstem Niveau renoviert wird. (Beobachtung dabei: Die gemeine Schubkarre ist, zumindest bei Gebäudeentkernungen in Luxemburg, anscheinend von selbstfahrenden kleinen Muldenkippern mit Raupenketten aus Gummi abgelöst worden. So einen will ich auch mal fahren.)

Trotz der kleinen Dimensionen muss sich der luxemburgische Bahnbetrieb vor keinem anderen verstecken. Nicht nur, dass sich am Hauptstadtbahnhof Züge verschiedener Kategorien aus aller Herren Länder, oder doch zumindest aus Frankreich, Belgien und Deutschland treffen, und es eine hochschnelle TGV-Anbindung an Paris gibt; das Fahrzeugmaterial im Binnenverkehr, das unter anderem lokbespannte Doppelstockzüge von Bombardier (Bild) und gleichfalls doppelstöckige Triebzüge vom Erzkonkurrenten Alstom umfasst, ist hochmodern, der Fahrplan integriert vertaktet und das Internetangebot sowie der sonstige Service können sich sehen lassen. Netz und Fahrzeuge werden derzeit vollständig auf den europäischen Standard ETCS umgestellt, dessen flächendeckende Ausrollung in Deutschland noch Jahrzehnte auf sich warten lassen wird. 

Als nahezu völlig im Staatsbesitz befindliche Bahn mit (zumindest Quasi-)Monopol taugt die CFL zum Indiz, dass es nicht immer Wettbewerb sein muss, um Qualität zu erreichen. Die verkehrspolitische Wende, die mit den Demonstrationen gegen die Stilllegung der Nordbahn vor etwa zwanzig Jahren erreicht wurde und ihren jüngsten Erfolg mit dem Beschluss, eine Straßenbahnlinie in der Hauptstadt zu bauen, erreicht hat, zeigt aber, dass es auch und gerade dort, wo der Staat alle Fäden in der Hand hat, ohne Einmischung nicht geht (nebenbei haben Bürgerproteste 1977 auch in Luxemburg den Bau eines Atomkraftwerks verhindert).
Interessant ist, dass die CFL ebenso wie die schweizerischen Staatsbahnen im Ausland als Wettbewerber im Güterverkehr mit einer expansiven Strategie auftritt, in diesem Falle in einem Joint Venture mit dem luxemburgisch-indischen Stahlkonzern ArcelorMittal, und zwar mit dem Segen der traditionellen »tripartiten« Konsensdemokratie. CFL cargo soll in der Intention ganz offen der Wettbewerbsfähigkeit der luxemburgischen Schwerindustrie dienen und erledigt mittlerweile Verkehre von Frankreich, Spanien oder Italien bis nach Skandinavien. Über den Bettemburger Rangierbahnhof als Knotenpunkt werden sogar Einzelwagenverkehre erledigt, etwas, woraus sich viele Staatsbahnen größerer Länder bereits verabschiedet haben.

Bild: Redvers bei Flickr (Details und Lizenz)

Donnerstag, 9. April 2009

Betriebsschluss

Nachdem ich heute um fünf Uhr morgens aufgestanden und den lieben langen Tag mit öffentlichen Verkehrsmitteln umhergereist bin, fehlt es mir an Energie, das geplante Prellblog dazu heute noch fertig zu machen. Morgen dann!

Donnerstag, 2. April 2009

90: Das war's

Man kann nur selten davon sprechen, dass sich in der Eisenbahnwelt die Ereignisse überschlagen, aber dieser Tage ist es tatsächlich so: Zum einen tritt Hartmut Mehdorn als Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn ab und wird, wenn nichts mehr dazwischen kommt, durch Rüdiger Grube ersetzt werden; zum anderen sind heute die Finanzierungsvereinbarungen für Stuttgart 21 (vgl. Prellblog 19) unterzeichnet worden und dem Riesenprojekt steht damit nicht mehr viel im Wege.


Was ist der gemeinsame Nenner dieser Themen?
Am Beispiel des Personalwechsels an der DB-Spitze lassen sich Abwehrreaktionen beobachten, die mittlerweile schon fast klassisch sind. Die Hüter der reinen Lehre in Kreisen von Bahnfans und Exponenten alternativer Verkehrspolitik (wenigstens in der Selbstwahrnehmung) sehen es keiner DB-Führungskraft nach, Kontakt mit einer »eisenbahnfeindlichen« Branche wie der Luftfahrt, dem Flugzeugbau, oder am allerschlimmsten dem Autobau gehabt zu haben. Entsprechende Pressemitteilungen hat es bereits gegeben; der VCD schreibt, die »Chance auf einen Neuanfang« sei vertan, weil Grube von Daimler herkommt und als früherer Büroleiter Mehdorns ebenfalls bei Airbus tätig war. Anderswo ist schlicht die Rede von einem Scheitern Mehdorns, unter dessen Ägide doch immerhin der früher existenziell bedrohte Marktanteil der Bahn sowohl im Güter- als auch im Personenverkehr stabilisiert und mittlerweile sogar ausgebaut worden ist. Keine Selbstverständlichkeit, wenn man sich andere europäische Eisenbahnmärkte anschaut, und zwar die privatisierten wie die staatsdominierten.

Dass Stuttgart 21 wiederum, eine Idee der Bundesbahn beziehungsweise von Mehdorns Vorgängern, mittlerweile ebenso wie der zu seinem Amtsantritt bereits in Bau befindliche Berliner Hauptbahnhof auf seine Kappe gerechnet werden, zeigt den Mangel an Klarheit in der Öffentlichkeit darüber, wie die Verhältnisse im deutschen Bahnwesen strukturiert sind und wie sich sich in den letzten Jahren entwickelt haben. Das ist auch kein Wunder, da selbst unter Politikern das Verständnis für die komplexe institutionelle Landschaft fehlt, die in ihren Grundzügen viel älter ist als die Bahnreform und eine Staatsbahn mit Global-Player-Ambitionen genauso hervorgebracht hat wie die exzellenten Ergebnisse des Ausschreibungswettbewerbs im Nahverkehr, einen Flickenteppich von Verkehrsverbünden ebenso wie die juristisch willkürliche Abgrenzung von Straßenbahnen, Hauptbahnen, Nebenbahnen und Anschlussbahnen.
Es tut mehr Wissen not über die Bahn, nicht nur in der Politik und nicht nur in den Medien, die jenseits der FAZ überwiegend ahnungslos sind, was den Schienenverkehr betrifft. Mit mehr Bildung und weniger Aufregung legt sich dann vielleicht auch die zum Selbstläufer gewordene Verdammung der Bahn, die so weit eingerissen ist, dass es unter gebildeten jungen Menschen Anfang zwanzig vollkommen konsensfähig ist, einfach nur über »die Schweine von der Bahn« zu reden, wenn man die DB meint. Gegen die Heuchelei so manches »interessierten« Vielfahrers, der behauptet, mehr Verkehr auf der Schiene haben zu wollen und in Wirklichkeit nur möglichst viele möglichst leere Züge wünscht, ihn höchstpersönlich zu befördern, können Wissen und Vernunft allerdings nichts ausrichten, genausowenig wie gegen die des »Eisenbahnfreunds«, dessen Kontakt mit der Bahn sich neben zweimal jährlichem Benutzen von Dampfsonderzügen auf nicht eben evidenzbasiertes Schwadronieren gegen »den Mehdorn«, der »die Bahn kaputt macht« beschränkt.

Ich erwische mich beim Gedanken, dass es auch deswegen sein Gutes hat, dass Mehdorn geht, weil er nun nicht mehr als Hassfigur herhalten kann; aber das zu akzeptieren, hieße, akzeptieren, dass ein Sündenbock in die Wüste geschickt wird. Aus einigen anderen Gründen halte ich es für gut, dass er geht, aber er soll nicht als der in Erinnerung bleiben, der alles schlecht gemacht hat. Denn das hat er nicht. Er hat sogar vieles gut gemacht, und die besondere kollektivpsychische Beziehung der Deutschen zum öffentlichen Verkehr, die sich im massenhaften Fotografieren von 103er E-Loks ebenso äußert wie im unmotivierten Zusammenschlagen von Busfahrern, muss eingeklammert werden, will man seine Leistung bewerten.

Bild: Alexander Stübner »Alex //Berlin« bei Flickr (vollständiges Bild, Details und Lizenz)