Freitag, 27. Februar 2009

85: Rund gemacht

Neun Zentimeter kleiner wird ein ICE-Rad im Laufe seiner Lebensdauer, schrieb ich im Prellblog 43. Zu Radsätzen hatte ich zwar schon früher etwas gesagt (siehe Prellblog 14), aber auf das Phänomen der schrumpfenden Raddurchmesser möchte ich hier noch einmal ausführlich eingehen.

Der Aufhänger dafür: Ich durfte neulich lesen, dass die Räder bestimmter Züge auf bestimmten Strecken die Tendenz haben, mit der Zeit eckig zu werden. Und zwar immer elfeckig. Und niemand weiß wieso.

Warum verlieren Räder überhaupt ihre Rundheit? Ein Grund dafür ist vielleicht noch vom Auto bekannt, wenn auch dank ABS selten geworden: Blockierende Räder schleifen sich am Untergrund ab. ABS heißt im Eisenbahndeutsch Gleitschutz und der Vorgang Gleiten; das was dabei herauskommt, nennt man auch nicht Bremsplatte, sondern Flachstelle. Dabei muss der Grund auch nicht unbedingt eine Bremsung sein. Es kann sich zum Beispiel auch ein Lager festgesetzt haben, klassischerweise passiert das bei älteren Wagen in Güterzügen, und wenn der Wagen weit genug hinten ist, können da spektakuläre Rauch- und Feuererscheinungen über Kilometer beobachtet werden, bis eine Entgleisung der Lokführerin unmissverständlich klarmacht, dass es ein Problem gibt. Die wohl unerfreulichsten Flachstellen entstehen durch randalierende Fahrgäste, die auf die glorreiche Idee kommen, mit Handbremsrädern zu spielen. Fußballfans haben auf diese Weise schon gewaltige Böschungsbrände auslösen können.
Sogenannte Heißläufer- und Festbremsortungsanlagen dienen dazu, festgehende Lager und Bremsen frühzeitig zu erkennen. Leider sind sie sehr teuer. Die altmodische Variante ist es, den Zug regelmäßig anzuhalten, optisch zu inspizieren und mit dem Hämmerchen auf die Lagerdeckel zu klopfen - kaputte Lager klingen anders.

Beim Gleiten können sich Keile aus abgetragenem Metall auf den Radreifen aufschweißen und schlimmstenfalls dauerhaft Rad und/oder Bremse blockieren. Die Legierung des Radreifens kann gestört werden und reißen, das Hämmern der Flachstelle aufs Gleis kann die Schienen und wiederum die Radlager schädigen, schlimmstenfalls gibt es einen Schienenbruch und Entgleisungen. Alles nicht so schön also.
Meistens äußert sich eine Flachstelle aber nur in Rumpeln und Holpern, was man wiederum bei gemischten Güterzügen mit älteren Wagen oft gut hören kann (und in betroffenen Personenzügen auch fühlen). Der Zug muss deswegen nicht sofort aus dem Verkehr gezogen werden. Er muss aber definitiv bei nächster Gelegenheit auf die Radsatzdrehbank, wo dann solange Metall vom Reifen abgedreht wird, bis er wieder schön rund ist. Wir sprechen da wirklich von Drehen und nicht einfach von Schleifen - es geht immerhin, wie oben angemerkt, um mehrere Zentimeter Spielraum.
Die Unterflurdrehmaschinen, mit denen das heute gemacht wird, sind computergesteuerte Wunder der Technik. Früher musste man die Radsätze zum Abdrehen noch ausbauen, diese Zeiten sind vorbei. Gutes Abdrehen wird in den letzten Jahren immer wichtiger, da sich nicht nur die Ansprüche an die »Gleisfreundlichkeit« von Zügen erhöht haben, sondern immer weniger Klotzbremsen verbaut werden. Bei den zunehmend auch für Güterwagen populären Scheibenbremsen, aber auch bei Bremsen mit »Flüstersohlen« fehlt der Schleifeffekt des guten alten Grauguss-Bremsklotzes am Rad, der geringfügige Abweichungen wieder einebnet.

1887 hat die Hinkley Locomotive Company in Boston, Massachusetts, übrigens eine Lok mit absichtlich eckigen Rädern ausgeliefert (die Radreifen hatten 118 Ecken bei einer Kantenlänge von ungefähr fünf Zentimetern), in der Hoffnung, das verbessere den Rad-Schiene-Kontakt. Zwei Jahre später war die Firma pleite. Ein Schelm, der einen Zusammenhang vermutet.

Bild: Linden »Gasúr-an-ṁór« bei Flickr (Details und Lizenz)

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

*G* wir hatten vor ein paar wochen an einer Diesellok 2 unterschiedliche Raddurchmesser vorn und hinten ...
wie das zustande kam ist uns immer noch ein Rätsel bzw. gehen wir davon aus das die Achsen von Werk ab ungleich waren. Wir haben die Achsen zum abdrehen gebracht ... aber auch der Kettenantrieb hat natürlich über die Jahre darunter gelitten.

siehe hierzu
http://www.betriebswerk-landshut.de/category/o-und-k-rangierlok-mv9/
oder konkret
http://www.betriebswerk-landshut.de/2009/02/18/die-achse/

Gruß Tobias

weitere Bilder liegen in Chronologischer Reihenfolge unter pic.betriebswerk-landshut.de

Wenns dir zu viel urls sind editiere sie einfach weg *G*