Donnerstag, 12. Februar 2009

83: Leyenda blanca?

[T]he train is taking the strain in Spain.
Mit diesem ebenso bildungsbürgerlichen wie grässlichen Wortspiel schloss der Economist letzte Woche einen Artikel, der die Überschrift »Ave Madrid« trägt, die eine nicht minder holprigeAnspielung darstellt: »Ave« steht für »Alta velocidad española« und ist der Markenname für die Hochgeschwindigkeitszüge der staatlichen spanischen Eisenbahn Renfe.
Welchen Grund gibt es nun, dieser Tage über spanische Eisenbahnen zu schreiben? Natürlich zunächst den Grund, den es an jedem Tag der letzten paar Jahre dazu gab: Spanien baut, und das meistens ohne viel Lärm und Aufsehen, seit 1988 am größten Hochgeschwindigkeits-Bahnnetz der Welt. Nach eher schleppenden Anfängen ist mittlerweile mehr Netz im Bau (1900 km) als fertig (1500 km). In 15-20 Jahren soll es neuntausend Kilometer Schnellfahrstrecke geben, mithin mehr als dreimal so viel, als der bisherige Rekordhalter Japan dann haben wird, wenn alle dort im Bau befindlichen Strecken fertig sind.
Der spanische Plan, alle Provinzhauptstädte in unter vier Zugstunden von der Hauptstadt aus erreichbar zu machen, klingt zentralistisch; das ebenfalls aufgestellte Ziel, dass kein Einwohner mehr als fünfzig Kilometer von einem Bahnhof mit Hochgeschwindigkeitsanschluss entfernt wohnen soll, erinnert dagegen stark an den »Leber-Plan«, alle Deutschen mit einer höchstens 20 km entfernten Autobahnauffahrt zu beglücken, nur eben ins Eisenbahnerische gewendet. Nebenbei wird das spanische Schienennetz damit gegenüber seiner größten Ausdehnung vor den Stilllegungen der 1980er Jahre wieder einen Nettozuwachs erfahren und große Schritte in Richtung auf die für zirka 2020 geplante vollständige Normalspurigkeit gemacht haben; aus verschiedenen historischen Gründen, darunter die gebirgige Landschaft, wurden Eisenbahnen in Spanien und Portugal nämlich bis 1988 nicht in der üblichen, sondern einer Breitspur (1668 mm) oder schmalspurig (siehe Bild) gebaut. (Ähnliches gilt übrigens für Indien, das allerdings nicht auf Normalspur umstellt, sondern auf Breitspur vereinheitlicht, wenn auch sehr langsam.)

Genau wie gegenüber Italien (siehe Prellblog 62) ist jedwede Arroganz also unangebracht - Spanien, das übrigens auch nach französischer Art viele neue Straßenbahnen schafft und in Madrid die einzige U-Bahn Europas hat, die noch wirklich massiv ausgebaut wird, schickt sich an, den »großen Eisenbahnländern« zu zeigen, was eine Harke ist. Nebenbei sollen die durch den Schnellstreckenbau geschaffenen Kapazitäten im Altnetz zu einer deutlichen Verbesserung des Güterverkehrs dienen. Dem Kabinett liegt ein Plan vor, nach dem fünf Milliarden in Strecken, Terminals und Rollmaterial gepumpt werden sollen.
Das tut auch bitter not, denn die Schattenseite der rasanten spanischen Bahnentwicklung ist, dass mit unter drei Prozent Anteil am Gesamtumschlag der Güterverkehr nahezu bedeutungslos scheint. Einzelwagenverkehr gibt es bereits nicht mehr. Zumindest international soll es, wenn die normalspurige Neubaustrecke nach Frankreich einmal fertig ist, Fortschritte geben, wozu eine bestehende breitspurige Anschlussstrecke zum Frachtknotenpunkt Girona als Dreischienengleis ausgebaut wird.

Das bringt mich zum Thema für das Prellblog der nächsten Woche: Stichstrecken in fremder Spurweite. Klingt öde, ist aber gerade dieser Tage eine durchaus spannende Sache.

Bild: José Luis Martínez Álvarez (»jlmaral«) bei Flickr (Details und Lizenz)

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