Sonntag, 28. Dezember 2008

77: Schall und Rauch

- Vor fünf Jahren hielten die Gudrun und der Rasende Roland in Güllen. Dazu noch der Diplomat und die Lorelei. Alles Expresszüge von Bedeutung. [...]
- Nun halten nicht einmal mehr die Personenzüge. Nur zwei von Kaffigen und der Einuhrdreizehn von Kalberstadt. (Friedrich Dürrenmatt: Der Besuch der alten Dame. Zürich: Diogenes, 1956)
Sinnbild der »guten alten Zeiten« bei der Eisenbahn sind für viele die klangvollen Namen der Züge. Rheingold, Attika, Vindobona, Bavaria und wie sie alle hießen - besonders die langlaufenden Fernzüge wie die TEE und später IC/EC konnten sich über einen Namen freuen. Die niederen Zuggattungen, die niedrigste darunter, wie im Zitat ersichtlich, der Personenzug, hatten bloß Nummern.
Dabei ist das Konzept von »Zug« hinter der Namensgebung, wie so oft in der Eisenbahnsprache, ein eher abstraktes. Das eigentliche Rollmaterial, das unter einem Namen lief, wechselte; die Namen galten den Zugverbindungen, den zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Tag von A nach B verkehrenden Fahrten, das, was im englischen Sprachraum »service« heißt. Diese sind dabei an jedem Tag eindeutig nummeriert, nach einem Schema, das im heutigen Gebrauch von DB Netz die Zugkategorie und andere Merkmale (Neigetechnik oder nicht, Betreiber DB oder extern) durchscheinen lässt.
Neben der Zugnummer gibt es dann noch, mit der letzten Reform wieder länger gewordene Bezeichnungen aus Ziffern und Buchstaben mit Prüfsumme an jedem Wagen und jedem Triebfahrzeug. Früher hatten Lokomotiven häufig auch noch Namen - den Adler kennen alle, aber es gab zum Beispiel auch den Sturm oder den Greif. Es ergibt sich also die Situation, dass sowohl Zugverbindungen als auch Eisenbahnfahrzeuge sowohl nummeriert sind als auch benannt sein können, von der berühmt-berüchtigten Ordnungsnummer  der Wagen im Zugverband (»Sie finden unseren Speisewagen ...«) einmal ganz abgesehen. Dazu kommt dann auch noch bei getakteten Systemverkehren meist eine Liniennummer oder -bezeichnung wie »RE 1« oder »S 4«.

Während in anderer Herren Länder teils flächendeckend Zuglaufnamen vergeben sind wie anno dazumal - alle Amtrak-Züge haben Namen, darunter poetische wie California Zephyr oder prosaische wieVermonter -, ist der heutige Umgang damit in Deutschland ein sehr zurückhaltender. Die traditionellen Namen der IC/EC und ICE-Verbindungen sind, aus welchen Gründen auch immer, weitgehend abgeschafft; einige Ausnahmen verkehren noch, unter anderem auch durch Marburg. Wie um zu kompensieren hat man allerdings dafür zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen seitens des Aufgabenträgers Zugnamen für alle Nahverkehrsverbindungen, die keine S-Bahnen sind, eingeführt - meistens geografische wie Rhein-Erft-Express; es gibt aber auch eine Glückauf-Bahn.
Andererseits hat man bei der Deutschen Bahn und auch anderen Betreibern begonnen, massiv Fahrzeuge (zumeist auf Städtenamen) zu taufen. Die dezente Gestaltung der Namensanschriften an den ICEs führte angesichts der naheliegenden Parallele zu den Flugzeugnamen der Lufthansa sicher wieder zu Augenrollen bei denen, denen jede Anleihe der Eisenbahn beim Luftverkehr verhasst ist; Triebfahrzeuge auf Städtenamen zu taufen ist allerdings beispielsweise bei den niederländischen Staatsbahnen länger üblich gewesen.
Es gibt auch sehr ungewöhnliche Namensserien. Die Zweisystemfahrzeuge der Kasseler RegioTram hören auf Märchennamen wie Fundevogel, Die zertanzten Schuhe oder Up Reisen gohn, was bei Neulingen öfters für Staunen sorgt. Solche Originalität hat allerdings den Preis, dass man nicht wie bei Städtenamen den Lokalpatriotismus anzapfen kann, um Werbung für eine Bahnverbindung zu machen.

Bei dieser Gelegenheit sei darauf hingewiesen, dass ich morgen von Kusel nach Kaiserslautern fahren und dabei vielleicht, aber nur vielleicht, in einem Zug (Marke Bombardier Talent übrigens) Platz nehmen können werde, der wirklich Kusel heißt oder zumindest heißen wird, sobald die Taufe stattgefunden hat. Ob es den KuselerInnen warm ums Herz wird, wenn sie »ihren« Zug sehen? Wer weiß?

Bild: Andrew Balet bei Wikimedia Commons (Details und Lizenz)

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