Donnerstag, 4. September 2008

63: Kohle und Stahl

Das Gebäude, in dem ich wohne, liegt direkt neben den Gleisanlagen des Marburger Hauptbahnhofs. Etwa zweihundert Meter weiter werden deren letzte Ausläufer von einer stählernen Stabbogenbrücke überspannt, die die Rudolf-Bultmann-Straße über sie hinwegführt; es ist die einzige Überführung über die Gleise zwischen dem Stadtzentrum und dem nördlichen Stadtrand.

Im Juni, wenn ich mich recht erinnere, tauchten plötzlich Umleitungsschilder auf, die bekannt gaben, die Brücke werde bis in den Oktober hinein für Autos voll gesperrt: Sie müsse saniert werden. So lange hat es dann doch nicht gedauert - mittlerweile ist die Brücke wieder geöffnet. Man hatte Fahrbahn- und Gehwegbeläge von den Stahlblechen heruntergekratzt und dann neu aufgetragen; die Brücke hat jetzt auch ein neues Geländer, in blau (siehe Bild). Grund des Ganzen war es, dass man Anfänge von Korrosion an den Fahrbahnblechen festgestellt hatte; präventiv wurde dann diese Maßnahme für 110 000 Euro durchgeführt, um nicht später Millionen ausgeben zu müssen.

Bauwerke, und insbesondere statisch anspruchsvollere wie Brücken, leben nicht ewig. Zumindest nicht von selber. Eine Brücke muss gewartet werden wie eine Maschine, je nach Bauart in unterschiedlicher Art und Weise; und irgendwann am Ende ihrer Lebensdauer ist eine aufwändige Sanierung oder ein Ersatzneubau fällig. Ersteres kann man in den kommenden Jahren bei der südlichen Mainzer Rheinbrücke beobachten; zweiteres erleben derzeit die Kehler Rheinbrücke und die Frankfurter Oderbrücke. Alleine der Erhalt der Brücken des deutschen Eisenbahnnetzes kostet, vorsichtig geschätzt, jährlich etwa eine Milliarde Euro.
Wie lang eine Brücke lebt, hängt dabei wiederum von der Bauart und den Gegebenheiten ab. Die Brücken der deutschen Eisenbahn-Neubaustrecken werden meines Wissens auf 80 Jahre Lebensdauer ausgelegt. Häufig plant man durch die Untergliederung der Fahrbahn in mehrere Einzelsegmente oder sogar den Bau von zwei parallelen ein- oder zweigleisigen statt einer mehrgleisigen Brücke bereits für den Fall der notwendigen Sanierung oder des Neubaus voraus. Eisenbahnbrücken müssen übrigens für ganz andere Lasten ausgelegt werden als Straßenbrücken und werden daher auch anders konzipiert; dies erklärt unter anderem, warum es sehr wenige von Bahnen befahrene Hängebrücken gibt und immer noch sehr viele kleinere Eisenbahnbrücken aus Stahl gebaut werden, was bei Straßenbrücken ja eher die Ausnahme geworden ist.

Das bringt uns wieder zum Ausgangspunkt, der Brücke über die Marburger Bahnhofsgleise, die, wie man beim aufmerksamen Lesen gesehen hat, zwar aus Stahl, aber gar keine Eisenbahnbrücke ist. Was hat die nun mit dem Thema zu tun?
Unter anderem, dass bei Brücken, die über Gleise führen, genauso wie bei Gleisen, die über Tunnels hinwegführen (rechtlich gibt es keine Unterführungen, nur Überführungen), häufig auch deren Betreiberin irgendwie beteiligt ist. Denn ebenso wie bei Bahnübergängen handelt es sich dabei um eine Eisenbahnkreuzung nach dem Eisenbahnkreuzungsgesetz, einer geradezu salomonischen Regelung: Wer Gleise über Straßen hinweg oder Straßen über Gleise hinwegbaut, muss das selber bezahlen; Straßenträger und Gleisbetreiber unterhalten jeweils das, was ihnen gehört; bei Maßnahmen, die die Sicherheit verbessern, teilen sich die beiden Träger und das Land beziehungsweise der Bund die Kosten zu gleichen Teilen.
Ich kenne die Details nicht, aber die Sanierung der Brücke vor meiner Haustür wird wohl die Stadt Marburg aus eigener Tasche bezahlt haben. Relevant ist die Drittelteilung vor allem bei Projekten, bei denen Bahnübergänge durch Überführungen ersetzt werden.

Bild: Eigenes Foto

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