Donnerstag, 25. September 2008

66: Da ist Musik drin

Seit 1996 findet alle zwei Jahre in Berlin die InnoTrans statt, die mittlerweile weltgrößte Fachmesse für Eisenbahn und alles, was dazugehört, mithin der Hauptgrund dafür, warum das Berliner Messegelände umfangreiche Gleisanlagen hat. Dieses Wochenende ist es mal wieder so weit, und mir blutet das Herz, dass ich zu den Publikumstagen nicht kommen können werde, weil ich für meine zweite Magisterklausur lernen muss.

Dennoch sei ein bisschen etwas zur diesjährigen InnoTrans gesagt.
Das letzte und bisher einzige Mal (2006 war ich in Québec unabkömmlich) war ich 2004 dort, und obwohl erst vier Jahre her, hat sich die Messe seitdem stark vergrößert. Die Länge der Gleisanlagen hat sich auf 3500 Meter fast verdoppelt und es werden 91 Fahrzeuge ausgestellt sein, es sind wieder mehrere hundert Aussteller dazugekommen, die Leitmesse der internationalen Eisenbahnbranche brummt also.
Das liegt hauptsächlich daran, dass es der ganzen Branche richtig gut geht. Binnen zwei Jahren hat sich der weltweite Jahresumsatz mit Bahntechnik um ein Viertel auf etwa 125 Milliarden Euro gesteigert, von denen wiederum etwa ein Zehntel in Deutschland anfallen werden. Die Auftragsbücher lassen sich nur noch mit Mühe schließen, angeblich werden händeringend 1200 Ingenieure gesucht, das Jahr 2008 wird wieder sämtliche Auftrags- und Umsatzrekorde brechen.

Was die bisherigen Nachrichten so hergeben:
  • Das große Geld kommt aus China, Indien und Russland. Aber auch der traditionell als nicht gerade hochdynamische deutsche Bahnmarkt gibt mittlerweile wieder einiges her: Voith hat der DB für eine flockige Viertelmilliarde Euro 130 Stück seiner mittelschweren Diesellok Gravita (an deren erstem Exemplar noch nicht einmal der schwarze Lack des Betreibers MRCE Dispolok trocken ist) verkauft, womit sich eine seit zirka zehn Jahren in der Luft hängende Beschaffungsfrage gelöst hat. Man rechnet auch damit, dass bei den ebenfalls mehrfach vertagten Beschaffungen von Streckendieselloks und neuen Intercity-Zügen demnächst der Knoten platzt. (Natürlich kauft nicht nur die DB jede Menge neues Material. Auch zum Beispiel die Nordwestbahn, die die Bremer Regio-S-Bahn betreiben wird, kauft in großem Stil ein. Und für Frankfurt und Berlin gibt es jede Menge neue Straßen- und Stadtbahnfahrzeuge.)
  • Es ist entgegen Pressebehauptungen noch nicht entschieden, welches Zugkonzept die neuen DB-Intercitys haben sollen. Auch der Railjet hat ganz explizit noch Chancen. Dabei sollen Züge speziell für IC-Verkehre und nicht mit ICE-Ausstattung beschafft werden. Die üblichen Verdächtigen waren ja selbstverständlich davon ausgegangen, dass die DB unter der Hand die vollständige Abschaffung des IC plant, aber das ist derzeit nicht belegbar.
  • Der Markt bleibt in Bewegung: Mit Crotram und Solaris drängen osteuropäische Hersteller neu in den Straßenbahnmarkt, und Kawasaki will in Zukunft auch in Europa Hochgeschwindigkeitszüge verkaufen. Die Experten orakeln herum, ob die großen integrierten Bahntechnikkonzerne oder eher die mittelständischen Zulieferer die großen Gewinner des Bahnbooms sein werden - die einen sehen den Vorsprung der Großen bröckeln, die anderen bald eine neue Konsolidierungswelle rollen. Wenn man Vergleiche zur Automobilindustrie zieht oder schaut, welchen Aufstieg der ehemalige Branchenzwerg Stadler hingelegt hat, scheint mir eher der Mittelstand die Nase vorn zu haben. Es bleibt jedenfalls spannend.
Hoffentlich schaffe ich es 2010 nach Berlin, dieses Jahr gibt es wie gesagt andere Prioritäten. Aber wer weiß, vielleicht liest ja jemand mit, die oder der die InnoTrans am Wochenende beehrt und einen Gastartikel darüber schreiben möchte?

Bild: Mike Powell (»lemoncat1«) bei Flickr (Details und Lizenz)

Donnerstag, 18. September 2008

65: Grenzenlos systematisch

Eines der erklärten Ziele des Prellblogs ist es ja, einen weiten Begriff von »Eisenbahn« zu Grunde zu legen und den Grenzen, die zwischen verschiedenen Bahnen gezogen werden, ihre Absolutheit zu nehmen. Für mich gibt es letztendlich nur eine Eisenbahnidee, die in vielen Abschattungen implementiert worden ist, was sich in Systemgrenzen äußert, die mal einfacher, mal schwieriger zu überwinden sind.

Nun habe ich über den Durchbruch durch eine solche Grenze, nämlich die zwischen Eisenbahn und Straßenbahn, wie er in Karlsruhe zuerst und zuletzt in Kassel geleistet wurde, bereits geschrieben (Prellblog 25). Auch die heutige Kolumne ist einem geplanten Durchbruch geschuldet: Vorgestern haben der Zweckverband Großraum Braunschweig, die Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen und die Deutsche Bahn eine Absichtserklärung zur Realisierung der RegioStadtBahn Braunschweig unterzeichnet. Dies soll hoffentlich noch in diesem Jahr zu Vertragsschlüssen und bis 2013 zur Inbetriebnahme der ersten Baustufe dieses Projekts führen.
Auch hier geht es darum, ein Straßenbahnnetz mit Regionalstrecken der Eisenbahn zu verstöpseln und dadurch für einen vergleichsweise lächerlichen Betrag von 250-300 Millionen Euro ein zirka 200 Kilometer langes Netz mit S-Bahn-Qualität zu schaffen. Die Strecken sollen im Endausbau nicht nur Braunschweig (insbesondere im Norden und Osten) besser erschließen, sondern bis nach Gifhorn, Uelzen, Salzgitter, Goslar, Bad Harzburg und Helmstedt hinausreichen. Es ist kein Bahnhof zu untertunneln, dafür sind andere Details interessant - wie in Kassel werden Dieselhybridfahrzeuge fahren, die gegebenenfalls ohne Oberleitung auskommen; für eine der Netzverbindungen wird eine Kraftwerks-Anschlussbahn umgebaut. Wie üblich ist die Einrichtung eines Haufens neuer Haltepunkte geplant. Aber was bringt diese Nachricht dem Prellblog außer guter Laune?

Es wird hier eine Systemhürde übersprungen, die man üblicherweise für recht groß hält: Unterschiedliche Spurweiten. Das DB-Netz hat 1435 mm (übrigens gibt es da Toleranzen und in Bögen wird die Spur öfters erweitert), die Braunschweiger Straßenbahn hat das höchst exotische Maß von 1100 mm - die nächsten gängigen Schmalspuren sind 1067 mm (Kapspur) und 1000 mm (Meterspur). Die RegioStadtBahn müsste also, um die vibrierende Metropole Braunschweig mit dem Umland zu verbinden, die Spur wechseln.
Faktisch hat man eine andere Lösung gewählt und auf ausgewählten Strecken bereits jetzt Dreischienengleise verlegt, auf denen durch drei Schienen zwei verschiedene Spurweiten verfügbar werden. Langfristig wird das dazu beitragen, das Straßenbahnnetz vollständig auf 1435 mm Normalspur umzustellen. Das rentiert sich, da Fahrzeuge für Sonderspuren grundsätzlich teurer sind.

Die Sache mit der Spurweite zeigt, dass ein »System« bei der Eisenbahn auf klar fassbare Art und Weise abgegrenzt sein kann. Ähnlich ist es mit dem Lichtraumprofil: Dass amerikanische Lokomotiven nicht durch britische Tunnel passen, weiß jeder, der beides einmal live sehen durfte. Dagegen ist zum Beispiel der Unterschied zwischen der Versorgung von Straßenbahnen mit mittelgespanntem Gleichstrom und der von Eisenbahnen mit hochgespanntem Wechselstrom oder gar der zwischen verschiedenen Signal- und Zugsicherungssystemen eher etwas für Fachleute, vom Juristischen ganz abgesehen.
Eine ganz besonders unscheinbare, aber auch wichtige Sache ist das Profil der Spurkränze, Radreifen und Schienen. Straßenbahnen befahren engere Bögen als die meisten Eisenbahnen, haben andere Weichen und dort, wo die Gleise im Straßenraum verlaufen, meist Rillenschienen. Daher sind ihre Spurkränze oft klein und die Reifen zylindrisch, während das bei der großen Bahn ganz anders läuft (siehe Prellblog 23). Braunschweig muss also nicht nur, wo nötig, die dritte Schiene verlegen, sondern auch Fahrzeuge mit einem für beide Systeme tauglichen Radprofil besorgen und sicherstellen, dass dieses durch alle Schienen und Weichen passt. Die Fahrzeugführer müssen für zwei verschiedene Sicherungs- und Signalsysteme ausgebildet sein und dann erst der Papierkram ... ich drücke den Beteiligten jedenfalls alle Daumen und freue mich auf 2013.

Bild: Deutsches Museum Verkehrszentrum über »Mattes« bei Wikimedia Commons (Details und Rechtefreigabe)

Donnerstag, 11. September 2008

64: Erst zulassen, dann anlassen

Bei Autos weiß man so ungefähr Bescheid, wie das alles läuft: So ein Ding hat einen Halter, der es bei der Zulassungsstelle zulässt, Kraftfahrzeugsteuer dafür zahlt und es alle paar Jahre zur Hauptuntersuchung vorführt. Zum Einsteigen und zum Starten braucht man einen Schlüssel oder zumindest so etwas Ähnliches, damit man es überhaupt darf, muss man einen Führerschein haben.

Das ist nun nicht bei allen Verkehrsmitteln so. Noch vor einigen Jahren war es so, dass Verkehrsflugzeuge, die ja nie unbewacht irgendwo stehen und die auch nicht jeder bedienen kann, keine Schlösser an den Türen und schon gar keine Zündschlüssel hatten. Vielleicht ist das mittlerweile anders; man beachte das heutige Datum.

Wie ist das denn nun bei der Eisenbahn? Dass es erst seit Kurzem so etwas wie ein geregeltes Führerscheinwesen für Schienenfahrzeuge gibt, wurde im Prellblog 6 kurz angedeutet. Aber es gibt es mittlerweile, da sind die Unterschiede nun nicht so groß.
Halter von Schienenfahrzeugen sind nach Gesetz grundsätzlich Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU), auch wenn es eine Klausel gibt, nach der Privatpersonen, die am Eisenbahnverkehr teilnehmen wollen, wie nichtöffentliche Eisenbahnen behandelt werden. Grundsätzlich sind Eisenbahnfahrzeuge daher bei einem EVU eingestellt, worüber auch ein bundesweites Zentralregister geführt wird. Solange man nicht nur nichtöffentlich Güter befördert, braucht man für die Aktivität im Eisenbahnverkehr Genehmigungen, die je nach Zuständigkeit vom Eisenbahnbundesamt oder der zuständigen Landesbehörde erteilt werden. Eine Eisenbahn braucht dabei stets einen Betriebsleiter, der die Verantwortung für die sichere Abwicklung des Betriebs trägt; es muss sich um eine studierte IngenieurIn mit drei Jahren Berufserfahrung und staatlicher Prüfung handeln.
Alles muss also seine Ordnung haben, und dazu gehört auch, dass die Fahrzeuge vor der ersten Inbetriebnahme abgenommen und dann in Intervallen von sechs bis acht Jahren einer Untersuchung, die umgangssprachlich wie beim Auto »Hauptuntersuchung« genannt wird, zugeführt werden. Die dabei angelegten Maßstäbe sind schon ziemlich streng, anders als ein Auto wird eine Lokomotive oder ein Triebwagen zur Hauptuntersuchung weitgehend zerlegt, und bei der Gelegenheit gleich noch generalüberholt. Das ist nicht ganz billig, und bei älteren Fahrzeugen ist die anstehende Untersuchung oft ein Grund, lieber gleich ein Neufahrzeug anzuschaffen. Erledigt werden die Untersuchungen und damit verbundenen Revisionen, anders als beim Auto, wenn nicht vom Fahrzeughersteller oder einer Servicefirma, vom Halter des Fahrzeugs selber. Verantwortlich dafür, dass dabei nicht an der Sicherheit gespart wird, ist wieder der besagte Betriebsleiter.

Steuern speziell auf Eisenbahnfahrzeuge gibt es übrigens nicht. Eisenbahnen zahlen auch keine Grundsteuern auf ihre Gleisanlagen (anders als zum Beispiel in den USA).
Fehlt nur doch die Sache mit dem Zündschlüssel. Hat so eine Lokomotive jetzt einen?
Ja und nein. Man braucht zwar normalerweise einen Schlüssel, um überhaupt eine Führerstandtür aufzubekommen, aber da gibt es unterschiedliche Vorgehensweisen - von normalen Zylinderschlössern über pro Fahrzeugbaureihe einheitliche Schlösser bis hin zu einfachen Vierkantschlössern ist alles dabei. Innendrin braucht man dann normalerweise keinen Schlüssel mehr (doch auch da gibt es Ausnahmen), muss aber wissen, wie man die Maschine anbekommt, was nicht immer einfach ist.
Beim BahnTag in Fulda 2003 wurde mir von einem DB-Lokführer gesagt, das beste Analogon zum Zündschlüssel sei der herausnehmbare Fahrtrichtungsschalter - der muss eingesteckt und umgelegt sein, sonst geht nichts. Wenn man die Lok mal irgendwo abstellt und verhindern will, dass Unbefugte sie klauen, nimmt man das Ding am besten mit.
Der Grund, warum es herausnehmbar sein muss, ist übrigens, dass bei Loks mit zwei Führerständen dadurch eindeutig bestimmt ist, wo gerade vorne ist.

Bild: Carl Spencer (»CARLOS62«) bei Flickr (Details und Lizenz)

Donnerstag, 4. September 2008

63: Kohle und Stahl

Das Gebäude, in dem ich wohne, liegt direkt neben den Gleisanlagen des Marburger Hauptbahnhofs. Etwa zweihundert Meter weiter werden deren letzte Ausläufer von einer stählernen Stabbogenbrücke überspannt, die die Rudolf-Bultmann-Straße über sie hinwegführt; es ist die einzige Überführung über die Gleise zwischen dem Stadtzentrum und dem nördlichen Stadtrand.

Im Juni, wenn ich mich recht erinnere, tauchten plötzlich Umleitungsschilder auf, die bekannt gaben, die Brücke werde bis in den Oktober hinein für Autos voll gesperrt: Sie müsse saniert werden. So lange hat es dann doch nicht gedauert - mittlerweile ist die Brücke wieder geöffnet. Man hatte Fahrbahn- und Gehwegbeläge von den Stahlblechen heruntergekratzt und dann neu aufgetragen; die Brücke hat jetzt auch ein neues Geländer, in blau (siehe Bild). Grund des Ganzen war es, dass man Anfänge von Korrosion an den Fahrbahnblechen festgestellt hatte; präventiv wurde dann diese Maßnahme für 110 000 Euro durchgeführt, um nicht später Millionen ausgeben zu müssen.

Bauwerke, und insbesondere statisch anspruchsvollere wie Brücken, leben nicht ewig. Zumindest nicht von selber. Eine Brücke muss gewartet werden wie eine Maschine, je nach Bauart in unterschiedlicher Art und Weise; und irgendwann am Ende ihrer Lebensdauer ist eine aufwändige Sanierung oder ein Ersatzneubau fällig. Ersteres kann man in den kommenden Jahren bei der südlichen Mainzer Rheinbrücke beobachten; zweiteres erleben derzeit die Kehler Rheinbrücke und die Frankfurter Oderbrücke. Alleine der Erhalt der Brücken des deutschen Eisenbahnnetzes kostet, vorsichtig geschätzt, jährlich etwa eine Milliarde Euro.
Wie lang eine Brücke lebt, hängt dabei wiederum von der Bauart und den Gegebenheiten ab. Die Brücken der deutschen Eisenbahn-Neubaustrecken werden meines Wissens auf 80 Jahre Lebensdauer ausgelegt. Häufig plant man durch die Untergliederung der Fahrbahn in mehrere Einzelsegmente oder sogar den Bau von zwei parallelen ein- oder zweigleisigen statt einer mehrgleisigen Brücke bereits für den Fall der notwendigen Sanierung oder des Neubaus voraus. Eisenbahnbrücken müssen übrigens für ganz andere Lasten ausgelegt werden als Straßenbrücken und werden daher auch anders konzipiert; dies erklärt unter anderem, warum es sehr wenige von Bahnen befahrene Hängebrücken gibt und immer noch sehr viele kleinere Eisenbahnbrücken aus Stahl gebaut werden, was bei Straßenbrücken ja eher die Ausnahme geworden ist.

Das bringt uns wieder zum Ausgangspunkt, der Brücke über die Marburger Bahnhofsgleise, die, wie man beim aufmerksamen Lesen gesehen hat, zwar aus Stahl, aber gar keine Eisenbahnbrücke ist. Was hat die nun mit dem Thema zu tun?
Unter anderem, dass bei Brücken, die über Gleise führen, genauso wie bei Gleisen, die über Tunnels hinwegführen (rechtlich gibt es keine Unterführungen, nur Überführungen), häufig auch deren Betreiberin irgendwie beteiligt ist. Denn ebenso wie bei Bahnübergängen handelt es sich dabei um eine Eisenbahnkreuzung nach dem Eisenbahnkreuzungsgesetz, einer geradezu salomonischen Regelung: Wer Gleise über Straßen hinweg oder Straßen über Gleise hinwegbaut, muss das selber bezahlen; Straßenträger und Gleisbetreiber unterhalten jeweils das, was ihnen gehört; bei Maßnahmen, die die Sicherheit verbessern, teilen sich die beiden Träger und das Land beziehungsweise der Bund die Kosten zu gleichen Teilen.
Ich kenne die Details nicht, aber die Sanierung der Brücke vor meiner Haustür wird wohl die Stadt Marburg aus eigener Tasche bezahlt haben. Relevant ist die Drittelteilung vor allem bei Projekten, bei denen Bahnübergänge durch Überführungen ersetzt werden.

Bild: Eigenes Foto