Sonntag, 27. April 2008

Taktlücke

Das Prellblog fällt mindestens diese Woche, eventuell auch in der kommenden, aus. Es tut mir Leid, aber ich habe wirklich sehr viel zu tun.

Samstag, 19. April 2008

56: Stadtschnell

Die Berliner S-Bahn fuhr von 1951 bis zum Mauerfall 1961 auch in den Vorort Falkensee, der bereits zu Brandenburg gehört. Seit 1995 die Fernbahn westlich Spandau (im Berliner Nahverkehr heißt Fernbahn Eisenbahn ohne Stromschiene, also auch »normale« Regionalzüge) wieder hergestellt wurde, diskutiert man darüber, die S-Bahn wieder aufzubauen. Vor einigen Tagen ist nun endlich das Kosten-Nutzen-Gutachten, das die Basis für alle politischen Entscheidungen hierzu darstellen wird, veröffentlich worden. Das interessiert mich unter anderem deswegen, weil die Verbindung ein Modellfall für die Probleme bei länderübergreifenden Bahnplanungen ist, aber vor allem, weil in Falkensee eine meiner Großtanten wohnt.


Und es bietet mir den willkommenen Aufhänger, hier einmal kurz durchzusprechen, was eine S-Bahn eigentlich ist.
Überall dort, wo es sich entweder durch Erschließung vorhandenen Gebiets (z.B. durch die Berliner Stadtbahn) oder durch das Wachsen der Städte ergab, dass Eisenbahnstrecken durch Stadt- und Vorortgebiete führten, kamen im 19. Jahrhundert Stadt- und Vorortverkehre mit kurzen Takten und vielen Halten auf. Die sehr schnell wachsenden Fahrgastzahlen erforderten binnen kurzem spezielles Rollmaterial, und auch auf die Idee, die Bahnsteige hochzulegen, so dass man ebenerdig einsteigen konnte (siehe Prellblog 5), kam man bald.
Während anderswo Verbindungsbahnstrecken häufig in U-Bahn-Systeme eingeschmolzen und nicht mehr als Teil der »normalen« Eisenbahn wahrgenommen wurden, haben sich die Stadt- und Vorortverkehre in Deutschland, zumal in den beiden Keimzellen Hamburg und Berlin, in der Wahrnehmung als Eisenbahn, aber irgendwie besondere Eisenbahn erhalten. Man kam zwar relativ schnell auf die Idee mit der Elektrifizierung, in beiden Fällen über Stromschienen, was dazu führte, dass die Triebzüge praktisch ausnahmslos von den Fernbahnstrecken getrennt auf eigenen Gleisen geführt werden mussten, die es aus fahrplantechnischen Gründen aber ohnehin schon vielerorts gab. Aber einen besonderen Namen hatten diese Systeme nicht, bis man in Berlin 1930 auf die Bezeichnung »S-Bahn« und das Symbol mit dem grünen S als Pendant zum U der U-Bahn kam. (S-Bahn kürzt übrigens Stadtschnellbahn ab, und es hält sich die Behauptung, zunächst sei die Bezeichnung SS-Bahn geplant gewesen.)

Das dritte deutsche S-Bahn-System kam erst 33 Jahre nach dem zweiten, verzichtete auf die Stromschienen und fuhr sogar weitgehend mit lokbespannten Zügen statt mit Triebwagen. Mittlerweile gibt es mehr als ein Dutzend Netze, das S-Bahn-Symbol wird mancherorts für Bahnen eingesetzt, die teilweise auf Straßenbahnschienen fahren, es ist alles eher verworren. Ganz dem Konzept verpflichtet, gibt es hier keine Erläuterungen der hierzu geführten Begriffskriege. Man kann aber ungefähr festnageln, dass eine S-Bahn im hergebrachten Sinne eine Vollbahn ist, die hoch belastete Verbindungen bedient und dazu auf Strecken mit Haltabständen von einem halben bis anderthalb Kilometern mindestens im Viertelstundentakt fährt, wobei durch Taktüberlagerung oder -verdichtung mancherorts auch schon mal alle zwei, drei Minuten ein Zug fährt. Bonuspunkte gibt es für stark beschleunigende Triebwagen mit vielen breiten Türen und ebenerdigen Einstieg.

Viel interessanter als die technischen Aspekte finde ich, wie ungeheuer erfolgreich »S-Bahn« als handlicher Begriff für modernen Nahverkehr geworden ist; so erfolgreich, dass es diverse Realisierungen und Planungen von »Regio-S-Bahnen« und Ähnlichem gibt, und dass die verschiedenen Netze an manchen Stellen anfangen, an ihren Rändern miteinander zusammenzuwachsen. Auf der anderen Seite haben heute durchschnittliche Regionalstrecken eine Bedienungsqualität, die man früher allerhöchstens bei S-Bahnen fand, wenn überhaupt.

Bild: Dirk Lehmann (»ida und bent«) bei Flickr (Details und Lizenz)

Donnerstag, 10. April 2008

55: Projekt Eiertanz 6: Es geht weiter

Nach Monaten Stillstandes zeichnet sich jetzt ab, wie es mit dem Börsengang der Deutschen Bahn weitergehen und was das für die Zukunft des DB-Anteils des deutschen Eisenbahnverkehrs bedeuten könnte. Dies bedeutet, dass auch das Projekt Eiertanz eine neue Folge produzieren muss.

Zunächst haben sich anscheinend DB-Führung wie Regierung damit abgefunden, dass der Konzern nicht im Ganzen an die Börse gehen wird, sondern nur zum Teil. (Dass der DB-intern unter dem Namen »Newco« zur Abspaltung vorbereitet werde, ist übrigens von geringem Nachrichtenwert, weil das der übliche Arbeitstitel für Firmenabspaltungen ist.) »Netz und Bahnhöfe«, heißt es, sollen beim Bund bleiben; ich gehe davon aus, dass die Presse damit nicht nur die DB Netz und die DB Station & Service meint, sondern auch DB Energie, die sich in der Vergangenheit nicht gerade für den diskriminierungsfreien Zugang krummgelegt hat. Man hat sich schnell ins Schicksal gefügt; Mehdorn selber meinte, es sei wichtig, die Logistiksparte nicht aufzuspalten, aber das Netz dürfe der Bund gerne haben. Das ist eine Kehrtwende weg von der jahrelangen Parteilinie, Fahrweg und Fahrzeug müssten wegen Synergieeffekten in einer Hand bleiben.
Aus der SPD gibt es Forderungen, doch bitte auch DB Regio vollständig beim Staat zu belassen, die völlig zu Recht allerseits zurückgewiesen worden sind. Der Nahverkehr ist nicht auf staatliche Anbieter angewiesen, weil er vollständig im Staatsauftrage veranstaltet wird. DB Regio vom Börsengang auszunehmen wäre höchstens eine Maßnahme zur Sicherung von Arbeitsplätzen bei einem unterproduktiven Unternehmen.

Passend zur aufkochenden Diskussion - man munkelt, die ersten Aktien von »DB Newco« könnten noch 2008 an den Börsen auftauchen - regt es sich im verkehrspolitisch-industriellen Komplex. Eine Studie »im Auftrag von Verkehrsbetrieben« (von welchen?) soll feststellen, dass der DB-Fernverkehr stagniere und zu erwarten sei, dass das ICE/IC/EC-Netz weiter ausgedünnt wird, um die Rentabilität zu steigern. Die DB dementiert, die üblichen Verdächtigen schreien (»ganze Regionen werden abgehängt« etc.); dabei bleibt fraglich, ob der Durchschnittsfahrgast die Einstellung überhaupt teilt, dass der ICE relativ überteuert ist, skandalöserweise dort fährt, wo »eigentlich« andere Züge fahren sollten und eher ein Grund zum Nicht-Bahnfahren ist. Dass IC-Verbindungen bei der Umstellung auf ICE meines Wissens normalerweise Fahrgastgewinne schreiben, scheint ein gewichtiges Argument gegen diese selten hinterfragte »Binsenweisheit«.
Passenderweise hat die Bundesarbeitsgemeinschaft Schienenpersonennahverkehr eine »Initiative Deutschland-Takt« gegründet, die einen vollintegrierten Taktfahrplan für Nah- und Fernverkehr fordert und wohl die jüngste Inkarnation des Rufs nach der Interregio-Wiedereinführung darstellt. Dies würde praktisch die Abkehr vom eigenwirtschaftlichen Fernverkehr bedeuten - in Zeiten, wo von offizieller Seite bemängelt wird, dass es im Fernverkehr nach wie vor keinen funktionierenden Wettbewerb gibt. 
Ungeachtet all dessen hat sich die DB für den Ersatz ihres Intercity-Rollmaterials jetzt anscheinend für achtteilige Triebzüge entschieden; zwischen 100 und 130 Stück sollen bestellt werden, und zwar passend zum ICE-Standard. Das heißt also 800 bis 1040 Wagen, vom Volumen genug, um die bisherigen IC-Verkehre ohne größere Streichungen aufzunehmen; Wagen aber auch, die man sehr wahrscheinlich auch locker als ICE fahren lassen könnte, ohne dass es jemandem auffiele. Mal sehen, was passiert.

Im Kommentar zum Prellblog 38 hatte ich geschrieben:
[Es] muss meiner Ansicht nach der ICE-Fetischismus der meisten deutschen Kommunal- und Landespolitiker aufhören und außerdem muss der Mut zur Lücke her - man sollte irgendwann aufhören, jeden wegfallenden IC sofort durch bestellten schnellen Nahverkehr zu ersetzen.
Das gilt weiterhin. Wenn es zu Streichungen kommt, sollte die öffentliche Hand sich mit überhasteten Ersatzangeboten zurückhalten, denn jede Strecke, wo ein Privatanbieter gewinnbringend fahren könnte, und die dann doch (am Ende von DB Regio...) auf Staatskosten bedient wird, ist eine verpasste Chance für die Eisenbahn, denn mit dem Geld, das dieser Verkehr dann ohne Not kostet, könnte man anderswo Bahnsteige sanieren oder Strecken reaktivieren.

Bild: »colbwt« bei Flickr (Details und Lizenz)

Samstag, 5. April 2008

54: Schön viel Platz

In einen ICE passen maximal 920 Fahrgäste. Manchmal sind solche Züge, gerade am Wochenende, bekanntlich auch rappelvoll, oft eher leer.

Im Durchschnitt jedoch sitzen in so einem Zug nur 396 Leute. Die mittlere Auslastung des DB-Fernverkehrs liegt bei 43 %. Das heißt tatsächlich, dass im Schnitt jeder Zug mehr Luft als Fahrgäste transportiert. Und es ist noch ein ausgezeichneter Wert, verglichen mit den Schweizer Bundesbahnen (28 %) oder dem DB-Nahverkehr (21 %).
Auslastungswerte entscheiden, wo wie viel Geld verdient wird und wie die Umweltbilanz aussieht; man wünscht sich hohe Werte, und zwar aus gleichmäßiger Verteilung, denn gute Zahlen schreiben, indem man einige Züge dreihundertprozentig überlädt, wird von den Sicherheitsbehörden ungern gesehen.

Was könnte man nun tun, um die Auslastung zu steigern?
Ganz klassisch wäre es, die Preise zu senken. Das brächte neue Fahrgäste, aber die Sonntagabende im ICE München-Mannheim machte das nicht angenehmer. Man kann versuchen, in Zeiten hoher Last längere, ansonsten kürzere Züge zu fahren, aber das ist durch das Material begrenzt, denn Züge, die die meiste Zeit herumstehen, weil sie nur ab und zu zum Verstärken genutzt werden, kosten Geld und fahren keines ein. Neben dem Auslastungswert als Quotient der eingesetzten durch die besetzten Plätze spielt somit noch ein weiterer Wert eine Rolle, nämlich der Anteil der im Schnitt wirklich verkehrenden Plätze am gesamten Rollmaterial. Ihn versucht die DB dadurch hoch zu halten, indem sie ihre Züge in möglichst kurzen Nachtschichten rotierend wartet.
Auf der anderen Seite könnte man schwach ausgelastete Züge einfach streichen. Allein das wäre schon ein auslastungssteigernde Maßnahme. Die eingesparten Fahrten könnte man in die Hauptlastzeiten verlagern. Das Problem damit ist, dass dies den Taktverkehr, der eine Säule der Attraktivität darstellt, mutwillig unterminierte.

Also betreibt man Auslastungssteuerung. Im Luftverkehr heißt das Yield Management und funktioniert darüber, dass der Preis eines Tickets eine Funktion von Strecke, Klasse, Flugtermin, Buchungsdatum, Mondphase und Luftfeuchtigkeit ist. Im Luftverkehr gibt es aber auch eine allgemeine und selbstverständliche Reservierungspflicht. Die gibt es im Bahnverkehr in den deutschsprachigen Ländern nun nur in Nischen. (Als Nebeneffekt gibt es keine Sitzplatzgarantie.) Auch die anderswo bekannten Fahrpreiskalender, in denen es billigere und teurere Tage gibt, haben ihren Weg nicht nach Deutschland gefunden. Eine simple Variante stellen höchstens die vergünstigten Fahrkarten vieler Stadtverkehrsbetriebe und Verbünde dar, mit denen man vom Berufsverkehr ausgeschlossen ist (»9-Uhr-Ticket« etc.). Bei der DB greift man zu subtileren Mitteln, indem man kontingentierte Fahrkarten mit Rabatt verkauft, so dass, wer nicht auf einen präzisen Reisetermin angewiesen ist, ein Motiv hat, auf einen anderen auszuweichen.
Stellt es dann nicht einen Systemfehler dar, dass es mit der BahnCard weiterhin einen Generalrabatt gibt und nicht generell auch Nahverkehrsfahrscheine nach Tageszeit gestaffelt kosten? Vielleicht; vielleicht hält aber die Motivation, so eine flexible Karte, wenn man sie denn hat, auch zu nutzen, generell die Fahrgastzahlen höher und tut damit letztlich auch der Auslastung gut. Außerdem schreckt Komplexität im Tarif ab, wenn man sich selbst mit ihr auseinandersetzen muss.

Auslastungssteuerung verfolgt uns nebenbei durch unser ganzes Leben: Der Montags-Studentenrabatt mancher Supermärkte, den ich in Québec kennen gelernt habe, mag auch dazu dienen, diese sehr flexible Bevölkerungsgruppe dazu zu motivieren, den Wochenendeinkauf lieber noch einen Tag zu verschieben und damit der arbeitenden Bevölkerung samstags und sonntags Platz zwischen den Regalen zu machen.