Donnerstag, 13. März 2008

52: Kreuzweise

Straßen, die so schmal sind, dass keine zwei Fahrzeuge aneinander vorbeikommen, gibt es in Mitteleuropa selten. In Schottland soll das anders sein, aber hierzulande haben sogar aberwitzigste Landwirtschaftswege genügend Breite, dass es eben noch passt, wenn einem nicht gerade ein Mähdrescher begegnet.

Bei der Eisenbahn ist das anders. Hat eine Strecke zwei Gleise, können sich Züge prinzipiell überall kreuzen. Aber das haben nicht alle Strecken, es ist nicht einmal die Regel. Weniger als die Hälfte (gut 40 %) aller deutschen Vollbahnstrecken sind mehrgleisig. Das mag mit daran liegen, dass es Anlagen gibt, die oberflächlich wie zweigleisige Strecken aussehen, aber aus parallelen eingleisigen Strecken bestehen; auch darf eine Strecke nicht mehr als zwei Gleise haben und damit bringt jede ungeradzahlige Gleisanzahl immer eine eingleisige Strecke mit. Aber es ändert nichts am Problem: Wie fahren Züge in zwei Richtungen auf einem einzelnen Gleis?

Im einfachsten Falle gibt es nur einen Zug, der immer hin- und herfährt. Das ist bei kurzen Stichstrecken gar nicht so selten. Aber normalerweise gibt es mehrere Züge, die sich kreuzen müssen.
Dazu braucht man dann an mindestens einer Stelle doch ein kurzes zweites Gleis und mindestens eine Weichenverbindung (in der Praxis immer zwei), also einen Bahnhof. Ein Zug fährt in das eine Gleis und wartet, bis der andere in das andere gefahren ist, danach fahren beide weiter. Es liegt nahe, solche Kreuzungsbahnhöfe dort anzuordnen, wo ohnehin gehalten wird, so dass die Kreuzung keine Fahrzeit kostet.
Effektiv wird also auf den Streckenabschnitten zwischen zwei Kreuzungen abwechselnd einmal in die eine und einmal in die andere Richtung gefahren. Dazu muss irgendwie gesichert sein, dass kein Zug auf einen Abschnitt geschickt wird, auf dem ihm ein anderer entgegenkommt.
Natürlich ist der Fahrplan so gestrickt, dass das eigentlich überhaupt nicht vorkommen kann. Das ist ein Motiv, dem man dauernd begegnet: Wenn der Fahrplan stets minutiös eingehalten würde, bräuchte man zahlreiche Sicherheitsmaßnahmen gar nicht. Aber er kann nun nicht immer eingehalten werden, und das gilt selbst bei perfekter Pünktlichkeit der Regelzüge, denn der Eisenbahnverkehr besteht zu einem kleinen, aber wichtigen Teil (ca. 8 %) aus Sonderzügen. Das merkt der Durchschnittsfahrgast allerdings nicht, da diese fast ausnahmslos Güterzüge sind und Güterzugfahrpläne nicht aushängen.

Wenn an beiden Enden eines Streckenabschnitts Züge warten, muss irgendwie entschieden werden, welcher die Erlaubnis hat, spricht, wer von beiden zuerst fahren darf. Eine der simpelsten Lösungen, das narrensicher zu regeln, ist, einen Staffelstab oder eine Blechmarke von einem Zug an den anderen zu übergeben. In der Praxis übernimmt das Aushändigen und Einsammeln dieser Stäbe das Bahnhofspersonal, das dann auch die entsprechenden Signale stellt. Falls in eine Richtung mehr Züge fahren in die andere, hat man dann das Problem, dass ein reitender Bote den Stab oder die Marke zurückholen muss. Eine unkonventionelle, aber funktionale Lösung ist es, durch Telegrafendrähte verbundene, zigarettenautomatenartige Maschinen aufzustellen, die die Marken ausspucken und wieder annehmen; so geschehen in England. Die Übergabe der Marken durch und für durchfahrende Eilzüge wird allerdings etwas haarig.
In Deutschland hat sich als Quasistandard ein Kurbeltelegrafensystem, allerdings ohne Marken, direkt angeschlossen an die Stellwerksmechanik, entwickelt. Damit werden die Erlaubnisse quasi durch den Draht zwischen zwei Stellwerken hin- und hergekurbelt. (Darum, was Stellwerke noch so alles machen, wird es in 14 Tagen wieder gehen, und wahrscheinlich nicht zum letzten Mal.) Mittlerweile ist auch dies computerisiert und automatisiert worden.
Auf der anderen Seite befördern amerikanische Güterbahnen gigantische Mengen Fracht über großenteils eingleisige Strecken (mit kilometerlangen Kreuzungsbahnhöfen), wo es oft gar keine Signale gibt, sondern nur spezielle Funkprotokolle, über die Zugbesatzungen hören, wohin sie fahren dürfen, und melden, wo sie sind. In Deutschland gibt es Ähnliches unter dem Namen »Zugleitbetrieb«, aber eigentlich nur auf Nebenbahnen. Die Verkehrsdichten auf den beiden Kontinenten unterscheiden sich doch sehr stark.

Dies ist die erste Folge einer losen Artikelserie zum Thema Leit- und Sicherheitstechnik.

Bild: Leslie James Chatfield (»Elsie esq.«) bei Flickr (Details und Lizenz)

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